Text: Wolfgang Schaffer
Wer heute im Hinblick auf Heilungsvorgänge im individuellen oder im sozialen Organismus von einer «Hilfe durch den Geist» redet, findet wohl kaum eine Möglichkeit, im Verlauf der öffentlichen Meinungsbildung gehört zu werden. Gesundheit ist ein durch und durch berechenbares Gut geworden. Was sich einer Messung, Zählung und Gewichtung prinzipiell entzieht, bleibt ohne Relevanz. Mehr noch, es wird trotz seiner konstatierten Bedeutungslosigkeit in medizinischer Hinsicht doch insofern ernst genommen, als dass es von einer effktiven therapeutischen Maßnahme in gefährlicher Weise ablenken und den Einsatz echter, materieller Wirkstoffe verzögern oder gar verhindern könnte. Der Glaube an eine Heilung durch den Geist liegt dennoch tief im Seeleninneren der Menschen still verborgen und wartet auf Erweckung.
Therapie als Kriegszustand.
Der aktuellen Krisenzeit entsprechend wird der Begriff «Gesundheit» vom tatsächlichen Seinszustand individueller Menschen abgetrennt und auf die Ebene von Institutionen und Verwaltungsvorgängen verlagert. Menschen werden dementsprechend nur mehr als verschiedenartig krankheitsgefährdend bezeichnet, der Staat hat sich selbst die Aufgabe gestellt, für Gesundheit zu sorgen. Diese «Obsorge» wird von Ministerien und Behörden betrieben und nötigenfalls unter Einsatz von staatlicher Gewalt an den einzelnen Menschen verordnungsgemäß vollzogen. Dieser Anschauung gemäß befinden wir uns in einem allgemeinen Kriegszustand gegen einen Krankheitserreger, der zwar bisher noch nicht ganz dingfest gemacht werden konnte, der aber an seinen Wirkungen gemessen sehr wohl als existent angenommen werden muss. Diese Wirkungen sind über die bekannten körperlichen Symtome einer Erkrankung hinaus primär als Erstarrung der Gedankenbildung, als Fixierung von Emotionalität und als Lähmung der Handlungsfähigkeit von betroffenen Menschen wahrzunehmen.
Wesensglieder wirken ineinander
Man kann sich über Gesundheit aber den Anschauungen der Anthroposophie entsprechend auch andere Gedanken bilden. Rudolf Steiner hat versucht, den Menschen als ein Wesen darzustellen, das seine Einzigartigkeit dem Ineinanderwirken von vier unterscheidbaren Wesensgliedern verdankt. Nur das dichteste und entwicklungsgeschichtlich älteste Glied in dieser Kette ist in Form des physischen Leibes den physischen Sinnen wahrnehmbar. Er allein gilt dadurch auch bisher als naturwissenschaftlich existent. Der diesen physischen Leib durchdringende und belebenden Ätherleib ist unsichtbar. Er hält durch lichterfüllte Bildekräfte die Lebensfunkionen aufrecht und ist wie auch der die Gefühle tragende Astralleib und das alles umfassende, selbstbewusste ICH des Menschen nur rein übersinnlich wahrnehmbar. Wer aus der prinzipiellen Annahme eines übersinnlichen Daseins heraus an der Glaubwürdigkeit der Anthroposophie zweifelt, sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass wir auch auf den Glauben an die Kräfte von Elektrizität, Magnetismus und Kernkraft angewiesen sind. Diese Kräfte sind für unsere Sinne ebenso unsichtbar. Im Gegensatz zu den übersinnlichen Seinsbereichen des Lebendigen, Beseelten und Geisterfüllten sind die untersinnlichen Phänomene jedoch an die Materie gebunden und durch spezielle Maschinen ganz praktisch nutzbar.
Gesundheit manifestiert sich im Sinne der anthroposopischen Anschauung vom Menschen in dem rechten Ineinanderwirken der beschriebenen vier Wesensglieder. Um diesen harmonischen Zusammenklang immer wieder zu erneuern, braucht es zum Beispiel regelmäßig tiefen und erholsamen Schlaf. In dieser Zeit des Schlafes versinkt der Mensch in Bewusstlosigkeit, die nur durch bilderhellte Traumerlebnisse unterbrochen wird. Währenddessen werden die Wesensglieder wieder mit den ihnen jeweils nötigen Substanzen erfrischt, die sie für das kommende taghellen Wachbewusstsein brauchen. Das Immunsystem stellt den nötigen Zusammenhang der Wesensglieder in jeder Lebensphase des Menschen auf ganz individuelle Weise her. Nur im Falle einer ernsten Erkrankung bedürfen wir zur Wiederherstellung der Gesundheit einer Behandlung durch äußere Mittel als Hilfestellung eines Arztes. Doch jede Hilfe dieser Art kann letztlich nur die Kraft zur Eigenheilung unterstützen.
Gesundheit stiften
Nun gibt es aber eine wunderbare Möglichkeit ganz allgemein die Gesundheit füreinander sicherzustellen. Es geschieht ganz einfach durch das Zusammentreffen und Aufeinanderwirken von Menschen, die ihre Wesensglieder verschieden weit entwickeln konnten. Tritt zum Beispiel ein jähzorniges Kind einem Erwachsenen gegenüber, der gelernt hat, seine Gefühle vom Ich aus zu beherrschen, so kann er dem zornerfüllten Kind gegenüber etwas aufbringen, das heilsam bis in die Lebenskräfte des Kindes seine Wirkung hat. Trifft so ein Kind allerdings auf einen Menschen, dem ein ausgereifter Gefühlsleib fehlt, so kann die ungestüme Emotionalität des Kindes umgekehrt auch zerrüttend und schwächend auf die Lebenskraft des Betroffenen einwirken.
Die gesamte Erziehung kann so durch die ausgewogene Begegnung der Generationen miteinander ein «Gesundheitsbrunnen» zur Belebung der verschiedenen Wesensglieder werden. Die Waldorfpädagogik versteht sich dementsprechend über ihre Aufgabe als Erziehungskunst hinaus als ein Mittel zur leisen Heilung der so zahlreich vorhandenen Schwächen und Störungen, die sich im Falle einer Nichtbeachtung im Kindesalter zu einer ernsten Erkrankung im weiteren Lebenslauf ausweiten können. Dabei ist zu beachten, dass es eine Stufenfolge gibt, die den förderlichen Einfluss der verschiedenen Wesensglieder aufeinander betrifft. Alle heilsamen Entwicklungen nehmen vom jüngsten, höchsten, umfassendsten und geistigsten Wesensglied des menschlichen ICH ihren Ausgang. Heilungskräfte wirken von diesem Mittelpunkt des ICH ausstrahlend auf das Fühlen, die Lebensregungen und schließlich auf die Körperfunktionen ein. Dieses ICH darf natürlich nicht mit den verhärteten und verdorbenen Formen des Egoismus verwechselt werden. Zur Überwindung dieses Missverständnisses ist den Lehrenden in der Waldorfpädagogik die Selbstverpflichtung mitgegeben, ihr eigenes Temperament auch nach allen anderen möglichen Arten von Temperamenten hin zu erweitern. Nur so kann es gelingen, allen in der Schülerschaft vorhandenen Seelenstimmungen zumindest ansatzweise gerecht zu werden.
Mensch und Zeitgeist
Es bedarf nur eines kleinen Schrittes um von der Anschauung des gesundmachenden Einflusses von verschieden weit entwickelten Wesensgliedern aufeinander zu der Idee zu kommen, dass es auch Wirkungsketten von Wesenheiten geben kann, die ebenso weit über dem Menschen denkbar sind, wie die Reiche der Natur unter dem Menschen zu liegen scheinen. Das dem Menschen zunächst gelegene Tierreich, die Pflanzenwelt sowie die unbelebten Erdenstoffe haben dieser Anschauung zufolge ihre Entsprechungen in einer übersinnlichen, geistigen Welt. Darin entfalten sie als Hierarchien vom Menschen aufwärts ihre Wirkungen auf diesen dort zuunterst Jüngsten. So wie die Menschen auf die Entwicklung von Tieren, Pflanzen und Erdenstoffen durch Zucht und Auswahl einen bestimmten Einfluss nehmen können, sind diese ihrerseits auch einer Einwirkung der über ihnen stehenden hierarchischen Wesenheiten ausgesetzt. Die Engel zum Beispiel sind mit den einzelnen Menschen als Schicksalshelfer am direktesten verbunden. Über ihnen stehen Erzengel und Archai als Sprach- und Zeitgeister im Zusammenhang mit der Leitung von Gemeinschaften und Kulturepochen. Seit einiger Zeit hat nun den Angaben Rudolf Steiners entsprechend eine ganz bestimmte geistige Wesenheit im Rang eines Archai die Lenkung des globalen Bewusstseins übernommen. Es ist der Zeitgeist mit dem hebräischen Namen «Michael – Wer ist wie Gott?». Zu den bestimmenden Eigenheiten dieses Geistwesens gehört die Seeleneigenschaft des Mutes und der Furchtlosigkeit, besonders auch in der Begegnung mit dem sogenannten Bösen. Der Legende nach war es Michaels besonderer Mut, der ihn dazu veranlasste einer offensichtlich übermächtigen Bedrohung gegenüber auf die Hilfe Gottes zu vertrauen um schließlich die der geistigen Welt nicht mehr erträglichen Widersachermächte aus dem Himmel auszustoßen und auf die Erde hinabzustürzen. In der heiligen Schrift wird davon als dem «Streit des Michael mit dem Drachen» berichtet. Für unsere Gegenwart kommt die ganz besondere Art und Weise zum Tragen, durch die der Zeitgeist Michael die Menschheit in die Zukunft führen will. Er überlässt es scheinbar völlig unbeteiligt der freien Willensentscheidung jedes einzelnen Menschen, ob er sich wieder in einen Zusammenhang mit ihm als Zeitgeist und Boten der geistigen Welt bringen will. Den Menschen, die sich an ihn wenden und ihn um Beistand bitten wollen, ebnet er mit Urgewalt die Bahnen, die ihn wieder aufwärts in die Sphären führen, aus denen die Menschheit einst herabgestiegen ist. Voraussetzung für diesen Weg ist der individuelle Wille zu einer eigenständigen Urteilsbildung und die feste Entschlossenheit, die gewonnenen Erkenntnisse auch in Form von Taten zu verwirklichen. Geht der Mensch so innerlich gerüstet selbst auf das tiefste Übel zu, wird ihm durch Michael die Kraft zuteil, die Zukunft menschenwürdig zu gestalten. Dementsprechend gilt der Wahrspruch Rudolf Steiners:
„Wir Menschen der Gegenwart brauchen das rechte Gehör für des Geistes Morgenruf. Den Morgenruf des Michael. Geist Erkenntnis will der Seele erschließen dies wahre Morgenruf-Hören“