Text: Ute Golth, Salzburg; Zeichnung: Vesna Zakonjsek
Es ist selten geworden in heutiger Zeit, dass Spaziergänger überrascht innehalten und staunend vor einem Baum zu stehen kommen, der im Winter, um die Weihnachtszeit, seine Äste unter der Last besonderer Früchte biegt. Nicht höher als 5 m wird dieser Baum. Sein kurzer Stamm wird selten dicker als 25 cm. Doch seine Krone ladet weit aus, hüllt ihn wie eine große Kugel ein. Meist sind diese Bäume breiter als hoch, manche bilden bizarre Gestalten. Wenn Schnee liegt, heben sich die vielen Früchte besonders durch ihre hübschen, oben etwas abgeplatteten und nach unten etwas herzspitzenhaft geformten Kugeln gegen den weißen Hintergrund dunkel hervor. Zu dieser Zeit hat der Baum längst seine Laubblätter abgegeben, die sich ab Mai entfalten. Sie zeigen einen elliptisch bis lanzettlichen Gestus. Die Oberseite in sattem dunkelgrün, an der Unterseite filzig behaart, hängen sie an kurzen Stielen. Ende Mai bis Anfang Juni schmückt sich der Baum mit auffallend großen weißen fünffachen Blütenblättern. Die Zahl Fünf ist auch der Frucht eingeschrieben. Im abgeflachten oberen Bereich – in dem sie übrigens keine Schale hat, sondern nur mit einem feinen Gewebe bedeckt ist – hat sie wie einen Stempel den Fünfstern eingeprägt. Das inspirierte manche mittelalterliche Adelsgeschlechter dazu, sie in ihr Stammeswappen aufzunehmen. Eine weitere Besonderheit der Frucht sind ihre fünf nach oben gerichteten Zipfelchen, welche den eben beschriebenen Bereich umgeben. Die Farbe der Frucht ist anfangs goldbraun, zur Reife hin dunkler braun.
Andere Früchte der Gattung Rosengewächse reifen in Licht und Wärme des Sommers heran. Das genügt dem Mispelbaum, lateinisch Mespilus germanica genannt, keineswegs. Seine Früchte sind erst nach mehrmaliger Frosteinwirkung essbar! Davor bleiben sie hart und ungenießbar, sind dann reich an Gerbsäure, weshalb sie im Mittelalter sogar zum Gerben verwendet wurden.
Der Mispelbaum lässt seine Früchte mit Hilfe von Kälte und Frost „fertig kochen“. Im reifen Zustand wird das Fruchtfleisch sämig weich. Es hat einen feinen süß-karamelligen eher unaufdringlichen Geschmack und beinhaltet eine große Fülle an gesunden Nährstoffen. Beachtlich ist die Menge von 250 mg Kalium pro 100 g Fruchtfleisch. Davon finden sich im Apfel in derselben Menge 120 mg. Kalium wirkt regulierend auf den menschlichen Flüssigkeitshaushalt. Im Gewebswasser hält sich in konstanter Konzentration ein bestimmtes Milieu an Mineralien aufrecht. In einem Liter Gewebswasser sind 200 mg Kalium enthalten. Innerhalb der Körperzellen befindet sich ein größerer Pool an Kalium als in der Umgebung, von da kann es sofort freigegeben werden zur Aufrechterhaltung des Kaliumspiegels im Gewebswasser. Schon kleinste Schwankungen führen zu Störungen der lebenserhaltenden Tätigkeit der Herzmuskulatur. So ist es ein schönes Bild, dass gerade die kaliumreiche Mispelfrucht eine Ähnlichkeit zur Herzform andeutet.
Das Verhältnis zwischen Kalium und Natrium darf im Körper nicht gestört sein. Natrium zeigt seine Verwandtschaft zum Tierreich dadurch, dass Tiere gerne am Salzstein lecken, während das Pflanzenreich hochempfindlich auf Kochsalz reagiert. Dem seelischen-animalischen Anteil im Menschen – seinem Astralleib – gibt Natrium die Möglichkeit in den von ihm beherrschten Flüssigkeitsorganismus einzugreifen. Hierbei tritt es in Verbindung zum Kalium, das dem Weben der lebendig-ätherischen Bildekräfte verbunden ist. Kalium in Zusammenarbeit mit Natrium bildet also zwischen Seelen- und Lebenskräften in der menschlichen Leibesorganisation eine Brücke. Das hat gesundheitliche Auswirkungen. Die heutigen Ernährungsgewohnheiten führen zu durchschnittlich doppelt so hoher Kochsalzaufnahme als es für eine gesunde Ernährung zuträglich ist. Dazu ist die Kaliumaufnahme durch denaturierte Nahrung vermindert. Dadurch kommt der Aufnahme von Kalium eine wesentliche Bedeutung zu. Herz und Kreislauf werden entlastet. Durch die harntreibende Wirkung kann Bluthochdruck vorgebeugt werden.
Nun zurück zur Mispelfrucht die nicht zu verwechseln ist mit der Mistel, lateinisch Viscum album. Sie erlebt derzeit eine Renaissance in den heimischen Gärten, nachdem sie lange eine vergessene Frucht gewesen ist. Im Mittelalter wusste man um ihre vielfältigen Anwendungen in der Heilkunst. Darum hatte sie in den Klostergärten einen festen Platz. Sie kam bei Magen-Darm-Beschwerden zur Anwendung, insbesondere bei entzündeter Darmschleimhaut. Durch ihren hohen Pektingehalt kann sie den Cholesterinspiegel verbessern. Die Mispel enthält außerdem sehr viel Vitamin C. Schon zwei Früchte ersetzen einen Apfel.
Eine Mispel zu essen ist ein schönes Procedere an langen Winterabenden: Man zieht die 5 Zipfelchen nach unten. Dadurch wird oben eine Art Fruchtdeckel frei den man abheben kann. Das öffnet den Zugang zum Inneren, wo sich um fünf große steinartige Kerne das sämige Fruchtfleisch schmiegt. Nun heißt es nur noch genießen!
Es ist zu wünschen, dass der Mispelbaum, der seine herzähnlichen, die Herzgesundheit fördernden Früchte im Winter von der Kälte reifen lässt, in unseren heimischen Gärten wieder weite Verbreitung findet und dann von weihnachtlich gestimmten Menschen an kalten Wintertagen geerntet werden kann.
Eine Frucht des Vereins Raphael-Hain Arboretum am Fuschlsee zur Heilung von Mensch und Natur
Vorbestellungen für die kleine Broschüre zur Geschichte der Mispel unter art8kunst@protonmail.c