Text: Dr. Wolfgang Peter, Wien
Feuer ist ein faszinierendes Naturphänomen, das die Menschheit seit ältesten Zeiten begleitet und bewegt. Erschreckend, wenn ein Blitzschlag mit gewaltigem Donnerschlag einen mächtigen Baum zerspaltet und in Flammen setzt. Heimelig, wenn sich die Menschen um ein knisterndes Lagerfeuer versammeln, miteinander Gespräche führen oder auch nur in ein gemeinsames einträchtiges gemeinsames Schweigen versinken. Momente der stillen Besinnung, der Innerlichkeit und seelischen und geistigen Vertiefung. So auch, wenn sich der andächtige meditative Blick in das flackernde Bild einer milde leuchtenden Kerzenflamme versenkt. Ganz bei sich sein – und doch zugleich auch ganz über sich hinauszugehen. Nicht räumlich, aber seelisch und geistig.
Der Gebrauch des Feuers begleitet die Menschheit seit ihren ältesten Tagen. Das unterscheidet ihn von den Tieren, die das im Allgemeinen nicht tun. Anfangs ging es darum, das durch natürliche Ursachen wie Blitzschlag oder große Hitze entzündete Feuer sorgfältig zu bewahren. Das Feuer an der eigenen Feuerstelle und später am eigenen Herd zu hüten, wurde zur heiligen Pflicht. Und das nicht nur ob seiner Nützlichkeit für das tägliche Leben, sondern auch weil man ahnte, dass ihm eine göttliche Kraft innewohnt, die eng mit seiner Menschwerdung zusammenhängt. Die Ernährungsweise änderte sich, indem die Speisen nun gekocht oder gebraten, also bereits leise vorverdaut, verzehrt wurden. Dadurch wurden Kräfte für seine höhere seelische und geistige Entwicklung frei.
Für die Griechen der Antike war das Feuer, nach Luft, Wasser und Erde, das vierte der Elemente aus denen alles irdisch Seiende besteht. Später fügte Aristoteles noch ein fünftes Element hinzu, das später lateinisch wörtlich als quinta essentia (Quintessenz) übersetzt wurde und als unwandelbares ewiges Wesen die vier klassischen Elemente durchdringe und aus dem sie wohl auch entstanden seien. Dieses fünfte Element, das nicht als irdisches, sondern als kosmisches Element verstanden wurde, bezeichneten die Griechen auch als Aither (Äther), womit sie zugleich den blauen sonnendurchfluteten Himmel benannten.
Vom irdischen Feuerelement klar zu unterscheiden ist nach der antiken wie auch der mittelalterlich-christlichen Kosmologie der Feuerhimmel, das vom Göttlichen Feuer und Licht erfüllte Empyreum, das alle anderen himmlischen Sphären, d. h. die sieben klassischen Planetensphären, den Tierkreis und sogar das Firmamentum, den Kristallhimmel, an dem die Gestirne befestigt sind, überragt. Nach mittelalterlich-christlicher Anschauung wohnt hier jenseits von Raum und Zeit die dreieinige Gottheit, die Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist, die den ganzen Kosmos aus dem Nichts durch ihren Göttlichen Willen erschaffen hat. Schon viel früher, im 6. bzw. 5. Jahrhundert vor Christus, war der griechische Eingeweihte und Philosoph Heraklit davon ausgegangen, dass sich die Welt ohne Anfang und Ende aus einem unerschaffenen und unvergänglichen vernünftigen Weltenfeuer, das er dem Logos, der tätigen Weltvernunft gleichsetzte, beständig verwandle und erneuere.
Nach der griechischen Mythologie war es der aus dem ältesten Göttergeschlecht der Titanen stammende Prometheus, wörtlich der „Vorausdenkende“, der das Feuer vom Himmel raubte, indem er eine Riesenfenchel am vorbeifahrenden Sonnenwagen des Helios entzündete und gegen den Willen des Göttervaters Zeus den Menschen übergab, damit sie sich selbstbewusst in Freiheit den Göttern gegenüberstellen können, wie es Goethe treffend in seinem Prometheus-Gedicht formuliert:
Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
Jan Cossiers – Prometheus Carrying Fire
Paradoxerweise ist es gerade Prometheus, der trotz seiner Auflehnung gegen Zeus in Wahrheit den höchsten Göttlichen Willen erfüllt, dass nämlich im Menschen selbst der Göttliche Funke entzündet und zur Geistesflamme entfacht werde. „Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung“, wie Mephisto in Faust II, 1. Akt, spöttisch bemerkt, diese unermüdliche freie göttliche Schöpferkraft, sie soll sich auch im Menschen immer mehr entfalten.
Epimetheus, der „Nachdenkende“, der nur über das Gewordene, über das bereits Gegebene nachzusinnen vermag, öffnet die Büchse der Pandora, aus der sich alle Übel der Welt über die Menschheit ergießen. Nur die Hoffnung verbleibt zunächst. Aber auch sie kann sich nur erfüllen, wenn der Mensch seinen schöpferischen Willen entfaltet, sich dabei zugleich aber immer Rechenschaft darüber gibt, ob gut geworden ist, was er vollbracht hat und sich förderlich in das Weltgeschehen einfügt. Dass dabei auch immer wieder Fehler passieren, ist nicht zu vermeiden. Wenn auch der Göttliche Funke im Menschen wohnt, so ist er doch noch Äonen von der göttlichen Vollkommenheit entfernt. Aber gerade an seinen Fehlern kann der Mensch am meisten lernen und sich weiterentwickeln. „Es irrt der Mensch, solang‘ er strebt“, wie es in Faust I im Prolog im Himmel heißt – aber auch „wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ (Faust II, 5. Akt). Das ist das Schicksal des Menschen, der bereit ist, nicht bloß aus seinem niederen Selbst, aus seinem Ego heraus zu agieren, sondern mit wachem Bewusstsein aus seinem wahren Ich heraus tätig wird. Indem er so die Welt verwandelt, verwandelt er zugleich sich selbst.
Ja! Ich weiß, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr’ ich mich.
Licht wird alles, was ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse:
Flamme bin ich sicherlich.
Friedrich Nietzsche, Ecce homo
Die fröhliche Wissenschaft, 1882