Der Erste Weltkrieg und seine Drei Spannungsebenen

Wie in der letzten Ausgabe dargestellt war das deutsch sprechende Mitteleuropa 1914
also in eine Auseinandersetzung gerutscht, die rasch enorme Ausmaße annahm. Wirklich
gewollt hat sie (anders als 1939) im Jahre 1914 in Deutschland und Österreich niemand.

Text: Reinhard Apel, Juni 2019

Es gab einfach schon längere Zeit: Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich
wegen der deutschen Reichsgründung 1871. Ein Problem des Rechtslebens war gegeben. Dieses konnte nicht politisch gemildert werden. Das hätte etwa durch eine nicht–nationale Bearbeitung der Elsass-Frage geschehen können, in welcher das Elsass ein kleiner unabhängiger Staat wie Luxemburg geworden wäre. Man war fixiert auf: Er gehört entweder Frankreich oder Deutschland. Das Elsass war aber zweisprachig und als Zankapfel bei altem Denken ideal. Die Aufgabe der Idee, dass Staaten ethnisch und sprachlich homogen sein müssen verlangt aber die Soziale Dreigliederung. Denn ethnische, kulturelle, sprachliche Belange sind ein Teil des Freien Geisteslebens. Staatsgrenzen hingegen trennen Rechtsgebiete voneinander. Die Grenzen des einen Bereichs sind des Öfteren nicht die Grenzen des An-
deren. Das übrigens war am damaligen großen Österreich besonders deutlich sichtbar (siehe Punkt 3).
Spannungen zwischen Deutschland und England
wegen der Dominanz im internationalen Seehandel. Ein Problem des Wirtschaftslebens war gegeben.
Deutschland war sich über das Ausmaß dieser Spannungen nicht völlig im Klaren. Man dachte nicht, dass England deshalb zum Krieg schreiten würde. Man hatte überhaupt nicht im gleichen Maße ein Verständnis für die kolonialen Verhältnisse und Ihren Nutzen wie die Briten. Eine völlig anders geartete Wirtschaftsweise konnte von Mitteleuropa nicht gefunden werden. Daher war wirtschaftliche Konkurrenz zugleich politischer Konfliktstoff. Man denke einmal: Gemäß der Sozialen Dreigliederung werden ja Wirtschaft und Staat entkoppelt. Somit wären Spannungen hier nicht automatisch Spannungen dort. Ganz ähnlich wie gegenwärtig die US Regierung mit Präsident Trump China, aus wirtschaftlichen Gründen, politisch unter Druck setzt, war es auch damals.
Dazu grundsätzlich:
In der Sozialen Dreigliederung würden Fragen des wirtschaftlichen Einflusses im Wirtschaftsleben allein bearbeitet werden. Sie könnten nicht sogleich in die Verhältnisse der Staaten hereinwirken. Zudem würde durch assoziatives Gebaren ein anderer Grundimpuls allmählich eingeübt. Dies wäre möglich, weil dieser Impuls in unserer Ära am Grunde der Seelen schlummert und erwachen wird, wenn er darf. Es ist der Impuls der Brüderlichkeit im praktischen Tun. Wenn Konkurrenz dort ausgelebt wird, wo sie hingehört – nämlich im Kultur und Geistesleben – dann wird Solches möglich. Und: Keiner der „Global Player“ denkt wirklich national. Und auch: Sogar Monopole, Oligopole, Kartelle, Trusts, sind nach Udo Hermannstorfer eigentlich Ausdruck der Suche nach der Assoziation und der Brüderlichkeit. Wenn auch sehr verwoadackelt. Sie schalten die Konkurrenz weitgehend aus. Man bespricht sich. Dies ist ein Signum der Assoziation! Dies erfolgt in einem Kartell natürlich noch in einseitiger und überwiegend egoistischer Weise.

Spannungen zwischen Deutschland / Österreich und Russland, auf der anderen Seite wegen nationalen Fragen. Ein Problem des Geisteslebens war gegeben.
Österreich
Eine Frage des Geisteslebens deshalb, weil hierbei zunächst die Expansion auf dem Balkan (Annexion Bosniens) Österreich mit Russland in Konflikt brachte. Die durch die Situation geforderte Aufgabenstellung Österreichs wäre es gewesen, den verschiedenen slawischen Nationen in den Grenzen Österreichs ebenso gute oder bessere Bedingungen zu Ihrer Entfaltung zu bieten, wie den Deutsch-Österreichern und den recht gut gestellten Ungarn. Dann wäre durch die Freiheit in der ethnisch-kulturellen Entfaltung der Ruf nach eigenen Nationalstaaten nicht so stark aufgekommen. Dann hätten die Slawen Österreichs auch weniger Grund gehabt nach Russland als panslawischem Protektor zu schauen. Sogar zu den später aufgehussten Serben gab es im 19. Jahrhundert eine Zeit lang mit der Dynastie Obrenowitsch eine Verbindung die friedens- und ausbaufähig war. Es ging um die kulturelle Entwicklung der Slawen.
Deutschland
In Deutschland hat man nach 1871 nicht sehen können: das Deutsche Reich sollte so wenig wie möglich als Rivale des russischen Zarenreiches auftreten. Es müssten immer Signale der Förderung gesendet werden, denen Taten folgen. Das lag dem preußischen Geist in Berlin zunächst recht fern. Leider, leider. Denn die Deutschen haben Eigenschaften (Ordnung, Klarheit, Tatkraft ), die als ideale Ergänzung der innerlich begabten Slawen gelten können. Letztere waren eigentlich nie besonders erfolgreich in äußeren Dingen. Silikon Valley wäre am Ural schwer vorstellbar. Im slawischen Osten und vor allem in Russland braucht man eigentlich sehr die Hilfe des deutschen Kulturraumes, um nicht unter die ökonomische Dampfwalze des Westens zu kommen. Letzteres ist übrigens genau, was die Regierung Jelzin nach dem Fall des Eisernen Vorhanges zugelassen und Wladimir Putin mit seinem Umfeld dann doch noch verhindert hat. Daraus folgt wohl ein Gutteil der Aversion des Westens gegen Putin und ebenso ein Anteil seiner Popularität in Russland. Seine Selbstinszenierung mit Tiger ist nicht Alles. Oder setzten sich US-Präsidenten nie in Szene, sind sie nie Populisten?
Die Deutsch sprechende Welt sollte ein verständnisvolles Verhältnis zu den Slawen suchen
Also: die Deutsch sprechende Welt sollte ein Verhältnis zu den Slawen finden, welches im Kern geistiger Natur ist. Erobern darf man nichts (und damit allein sind die Nazis im zweiten Weltkrieg schon durchgefallen). Das erwünschte positive Verhältnis zum slawischen Osten kann sich dann auch politisch und wirtschaftlich ausdrücken. Dort liegt aber nicht sein Ursprung. Selbst in der Zeit knapp vor dem Ersten Weltkrieg gab es am Zarenhof noch zumindest eine einflussreiche Persönlichkeit, die den Krieg mit den Mittelmächten nicht wollte: Den sagenumwobenen Rasputin. In Grunde erfolgte der Eintritt und mehr noch der Verbleib der Russen im Weltkrieg nur über seine Leiche. Ein Problem des Geisteslebens lag in erster Linie vor. So so … Und was war der wundertätige Mönch Grigori Jefi movich Rasputin anderes, als eine Persönlichkeit des Geistesleben durch und durch. In diesem Bereich entschied sich die Sache. Ohne Russland jedoch, wären Frankreich und England wegen Serbien nicht so ohne weiteres in einen großen Krieg gegangen. Selbst wenn – es wäre ein Krieg an einer Front gewesen (nur im Westen). Die Deutschen hätten die Strategie bloßer Verteidigung erwägen können. Damit wäre der später so hervorgehobene Bruch des Völkerrechts gegen Belgien weggefallen (Dieser folgte ja aus Angst vor dem aussichtlos vorgestellten Zweifrontenkrieg nach Ost und West). Die eigene Position auch bei Niederlage, wäre viel besser argumentierbar geworden. Ohne die Versailler Verträge mit Festschreibung der Alleinschuld Mitteleuropas an Weltkrieg Eins …. Kein Adolf Hitler! Das darf man schon annehmen. Ein reiner Verteidigungskrieg hätte auch der echten Einstellung in Deutschland und Österreich entsprochen. Nicht Erobern wollte man zu Kriegsbeginn, als Staat überleben wollte man. Und man hatte eben keine Ahnung davon, wie England – aus seiner Kolonialgeschichte heraus – unmöglich die Deutschen Schiffe nur als das sehen konnte, was sie aus deutscher Sicht waren: friedliche Konkurrenten.

Rudolf Steiner als Zeitgenosse
Hat nun Rudolf Steiner als Zeitgenosse des Ersten Weltkrieges „lediglich“ meditiert, geistig geforscht, entsprechende Vorträge gehalten und sein erstes Goetheanum gebaut? Mitnichten! Der nächste Beitrag ist deshalb Steiners politischen Initiativen im Umfeld des Ersten Weltkrieges gewidmet. Der Inhalt: Die Dreigliederung des Sozialen Organismus – aber konkret auf das Zeitgeschehen angewandt.

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