Text und Fotos: Norbert Liszt
Engelhartstetten, ein kleines Dorf ungefähr 6 km von Donau und March entfernt, liegt nördlich der Donau. Auf der gegenüberliegenden Uferseite befinden sich Bad Deutsch Altenburg und Hainburg. Die Donau ist dort von einem sehr breiten Waldgürtel eingesäumt – der Donauau. Vorherrschend sind Pappeln und Weiden. Es finden sich aber auch Erlen, Eichen und diverse andere Baumarten. Zusammen mit den verschiedenen Straucharten und Stauden machen sie die Au zu einem dichten, üppigen Wald. Dort bin ich aufgewachsen.
Obwohl wir sehr nahe an der Donau wohnten, verbarg sie sich immer sehr gut vor uns. Als Kinder kamen wir selten an ihr Ufer. Zum einen, da die Au dort sehr breit ist, zum anderen, da ein Zaun, das Eindringen sehr schwierig machte. Der Zaun diente zum Schutz der zahlreichen Tierarten, die für die Jägerei interessant waren. Über diesen Schutz durften sich nur die Jäger mit Jagdbewilligung hinwegsetzen. Uns Kindern war es also nicht erlaubt, in den geheimnisvollen Wald einzudringen. Wenn wir dann doch das eine oder andere Mal über den Zaun kletterten, mussten wir damit rechnen, von einem Förster oder Jäger sehr rüde wieder hinausgeschickt zu werden. Aber auch die Gelsenplage war ein Grund das Augebiet zu meiden.
Einen besonderen Reiz hat es, die Au im frühen Frühling zu besuchen. Dann ist der Boden übersät von Schneeglöckchen, deren weiße Blüten ein zartes Leuchten in den düsteren Wald bringen. Später gesellen sich auch Veilchen dazu und bilden mit ihren violetten Blüten einen leisen Kontrast zum vorherrschenden Weiß des Waldbodens. Schon während des Verblühens der Schneeglöckchen kommen Bärlauch und Maiglöckchen. Der Geruch des Bärlauchs beherrscht dann für einige Zeit die Luft und überbietet den auch sehr intensiven Duft der Maiglöckchen.
In der Zeit meiner Kindheit gab es die „Hainburger Donaubrücke“ noch nicht. Dort, wo jetzt die Straße zur Brücke führt, ist der Auwald besonders breit und dicht und durchzogen von Donauarmen, welche weitere Hindernisse bildeten, um ans Ufer der Donau zu gelangen. Nur eine Straße führte durch den scheinbar undurchdringlichen Wald – die Straße zur „Rollfähre“. Sie war damals für Mensch und Fahrzeug die einzige Möglichkeit, ans andere Ufer zu gelangen. Der Name kommt daher, da ein Seil von der Fähre wegführt, das über eine Seilrolle mit einem die Donau überspannenden Seil verbunden ist. Die Fähre wird von der Strömung bewegt, kann aber durch die Verbindung mit dem Seil, das die Donau überspannt, nicht abgetrieben werden. Je nachdem, wie das Steuer gerichtet ist, wird sie von der Strömung an dieses oder jenes Ufer gebracht.
Bei starkem Hochwasser wurde der Fährbetrieb eingestellt, dann blieb nur der weite Weg über Wien, um nach Bad Deutsch Altenburg oder Hainburg zu gelangen. Die nächste Möglichkeit, die Donau zu queren, war die Ostbahnbrücke in Wien und für Autos die Reichsbrücke – beide ca. 50 km entfernt. In Hainburg gab es das nächstgelegene Krankenhaus. Ein Krankenbesuch in Hochwasserzeiten war somit mit einer langen Anreise verbunden. Das so nahe gelegene Hainburg rückte in weite Ferne.
Schließlich baute man die Donaubrücke, die 1973 für den Verkehr freigegeben wurde.
Es war für mich als Kind ein besonderes Ereignis, am Ufer des großen Flusses zu stehen. Die Donau ist im Grenzgebiet zur Slowakei sehr breit, ein wirklich mächtiger Strom. Auf der einen Seite die gewaltige Natur, der Auwald, dicht und undurchdringlich wirkend, nur durchbrochen von einigen Forststraßen und der Straße zur Rollfähre, die der Wald ständig zu überwuchern drohte. Wie eine Verwundung wirkten die Straßen und es hatte den Anschein, als wollte die Natur diese Wunden mit ihrem üppigen Wachstum schließen.
Auf der anderen Uferseite sind die Gebäude der Kleinstadt Bad Deutsch Altenburg und ein weitläufiger Kurpark mit kultivierten Wiesen zu. sehen. Die zum Donauufer abfallenden Hänge der „Hundsheimer Berge“, erlaubten es, dass Hainburg und Bad Deutsch Altenburg näher an die Donau rücken konnten.
Am Nordufer beginnt die weite Ebene des Marchfelds. Dort hat man großen Respekt vor dem großen Strom. Man hält Abstand zur Donau. Kein Dorf liegt so nahe an ihr wie die beiden Städtchen am Südufer. Außerdem schützt man sich mit einem Damm vor Überschwemmungen, und der ist in der „Stopfenreuther Au“ sogar doppelt ausgeführt. Hochwasserphasen und Überschwemmungen, speziell im Frühling und Frühsommer, sind keine Seltenheit. Führen Donau oder March Hochwasser, so hat das auch Auswirkungen auf das Grundwasser. Überhaupt sind Donau und March Grundwasserregulatoren für das angrenzende Flachland. Der Auwald und die angrenzenden Felder stehen häufig unter Wasser. Das kann auch in weiter entfernt liegenden Gebieten zu Hochwasser führen.
Für uns Kinder hatte das Hochwasser eine enorme Anziehungskraft. War das Wasser noch nicht über die Ufer getreten, dann war es für mich sehr spannend in der Nähe der strömenden Wassermassen zu stehen und deren Gewalt zu spüren. Es wurden dann Geschichten von mächtigen Strudeln erzählt, die Menschen und Boote in die Tiefe gezogen hatten, von Booten oder Schiffen, die von der starken Strömung über die Grenze getrieben worden waren. Damals existierte noch der „Eiserne Vorhang“, der die Grenze zwischen dem freien Westen und dem kommunistisch totalitären Osten bildete. Dahinter verbarg sich eine ganz fremde Welt, von der wir kaum eine Vorstellung hatten. Durch den Anblick von Stacheldrahtzäunen, Wachtürmen, patrouillierenden Soldaten mit Wachhunden und durch die Geschichten von erschossenen Flüchtlingen hatten wir großen Respekt vor dieser Grenze.
Die Erwachsenen erzählten uns Kindern von ihren Erlebnissen mit dem Fluss – z.B. davon, als einmal das Seil der Rollfähre gerissen und sie knapp vor der Grenze gestrandet war. Sie berichteten vom strengsten Winter, den sie je erlebt hatten, in dem selbst die Donau mit Eis bedeckt gewesen war. Es muss sehr beeindruckend gewesen sein, als auf dem Wasser dicke Eisschollen schwammen und sich im Eisstoß mit lautem Getöse über- und ineinanderschoben. Ich werde auch die Bilder nie vergessen, die sich mir boten, als ich auf dem Donaudamm stand und in die völlig überflutete Au blickte.
Das schlimmste Hochwasser, welches ich unmittelbar erlebt hatte, war in den 60er Jahren. Damals standen weite Teile der Ortschaft unter Wasser. Unser Keller war bis obenhin gefüllt und auch unser Garten stand teilweise unter Wasser. Wir hatten aber Glück. Das Hochwasser ging zurück, bevor es das Niveau der Wohnräume erreichen konnte. Auch die Dämme hielten, obwohl es da und dort Lücken gegeben hatte. Großen Schaden richtete das Wasser auf den Feldern an, denn die Ernte vieler Bauern war vernichtet.
Natürlich gibt es auch Zeiten, in denen die Donau sehr wenig Wasser führt. Dann ragen große Schotter- und Sandzungen in den Fluss hinein. Bei Niederwasser wirkt der kraftvolle Strom sanft und einladend. Man kann ihm ganz nahekommen. Er bildet seichte Buchten und man hat den Eindruck, als könnte man über die Schotterbänke in die Mitte des Flusses gelangen. Dort konnten wir angeschwemmte Muscheln und interessante Steine finden. Besonders flache Steine waren bei uns Kindern begehrt. Wir versuchten sie möglichst flach über das Wasser „blatteln“ zu lassen und veranstalteten Wettbewerbe. „Wer schafft es, den Stein am längsten über das Wasser gleiten zu lassen?“
Ein selten schöner Anblick bietet sich einem am Ufer von so manchem Donauarm dar. Es sind Relikte der „alten Donau“, im Grunde stehende Gewässer, da sie im Zuge der Donauregulierung vom großen Fluss getrennt wurden. Bäume und Sträucher kommen dem Wasser besonders nahe und spiegeln sich auf der unbewegten Wasseroberfläche. Bei höherem Wasserstand stehen sie im Wasser. Ab und zu landen Wasservögel und bringen Bewegung auf die Wasserfläche. Fischreiher gehen dort gerne auf die Jagd. Dicke Äste strecken sich weit über die Ufer und abgestorbene Bäume und Baumteile bilden Stege, die vom Ufer ins Wasser führen.
Im Jahr 1984 sollte mit dem Bau des „Kraftwerks Hainburg“ begonnen werden. Das hätte schwerwiegende Folgen für Fluss und Au gehabt. Schon im Vorfeld gab es Protestaktionen gegen dieses Bauvorhaben und man dachte über die Einrichtung eines Nationalparks nach. Die Donauauen östlich von Wien sind ein besonderes Naturjuwel, eine der größten unverbauten Flusslandschaften Europas. Man findet dort 700 Arten höherer Pflanzen, mehr als 30 Säugetier- und 100 Brutvogelarten, 8 Reptilien- und 13 Amphibienarten sowie rund 60 Fischarten. Trotz des massiven Protestes von Natur- und Umweltschutzorganisationen und der Ablehnung des Kraftwerksbaus auch von diversen Politikern aller Lager, von namhaften Personen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft, wurde mit dem Abholzen eines Teils des Augebietes im Dezember 1984 begonnen.
Da formierte sich eine Protestbewegung und die „Aubesetzung“ begann. Scharen von Umweltschützern aus allen Alters- und Berufsgruppen strömten in die Au bei Stopfenreuth und versuchten die Arbeiten zu verhindern. Lager mit Zelten wurden errichtet. Mit einer großangelegten Polizeiaktion sollte das Rodungsgebiet bewacht und die Umweltschützer aus der Au entfernt werden. Doch die leisteten vehementen Widerstand. Einige banden sich an Bäumen fest. In Wien demonstrierten daraufhin 40.000 Menschen gegen das Vorgehen der Regierung. Tag für Tag wurde die Zahl der Besetzer größer. Trotz der Kälte dieses Winters harrten sie in ihren Zelten aus. Schließlich mussten die verantwortlichen Politiker nachgeben. Die Bautätigkeit wurde vorübergehend abgebrochen. Nach einer Periode heftiger politischer Auseinandersetzungen konnte der Kampf um die Au erfolgreich beendet werden. Das Projekt „Kraftwerk Hainburg“ war damit gestorben und der Nationalpark March- Donau Auen wurde im Jahr 1996 Wirklichkeit.