Teil 2 des Interviews mit Johann Sonnleitner.
Fragen: Reinhard Apel. April 2019
Die Aulos Skalen
Wegweiser: Können wir noch näher auf die Aulos Skalen eingehen?
Sonnleitner: Gerne. Kathleen Schlesinger (1862 – 1953) war eine britische Theosophin und Kuratorin für Musikinstrumente am British Museum. Sie war darin die anerkannte Expertin Ihrer Zeit. Sie fand diese Skalen an historischen Aulos – Blasinstrumenten aus dem alten Griechenland. Es sind Instrumente mit gleichen Griffl ochabständen. Schlesinger ging mit dieser Entdeckung auch zu Rudolf Steiner. Dieser meinte zu Musikern seines Umkreises sinngemäß: „Studierts die Aulos Skalen. Da liegt was drinnen für die musikalische Zukunft “. Enstprechende Klänge sind übrigens auch am Balkan in der Volksmusik noch vorhanden. An diese Arbeit hat sich Heiner Ruland gemacht, wie er ja allen Anregungen Steiners nachzugehen versuchte. Das war ein jahrelanger musikalischer Werde – und Bildeprozess! Und siehe da, es fi nden sich in diesen Skalen sieben verschiedene Sekundqualitäten innerhalb der Oktave. Man hat dann innerhalb der Oktave eben verschiedene Sekundgrößen. Diese werden nach Unten hin kleiner. Es entspricht auch einer arithmetischen Gesetzmäßigkeit. Das alles kann man am Monochord gut erlebbar machen. Auch auf Streichinstrumenten natürlich.
Wegweiser: Beim Streicher sträubt sich allerdings etwas dagegen.
Sonnleitner: Der Streicher übt sein Leben lang, ja nichts anderes zu spielen auf der Seite ohne eingrenzende Bünde * als ganze und halbe Töne. Es ist auch gar nicht leicht, die neuen Zwischentöne zu treff en. Ganz beliebig sind sie ja nicht. Unsere geliebte Konzertmusik schafft Ordnung und ist auch dadurch schön. Das Tonsystem hat immer mit dem Bewusstsein etwas zu tun. So auch mit dem Zustand unseres derzeitigen Bewusstseins. Mit den neuen Skalen entstehen aber, bewegliche und atmende Tonleitern, die einfach mehr Lebendigkeit haben. Es gibt dann noch diese eigenartigen Dur-Tonleitern, die man bekommt, wenn man auf einem Alphorn vom tiefsten bis zum höchsten Ton spielt. Man kommt durch solche Studien auf die Naturtongesetzmäßigkeiten, die ich so wichtig finde und als schön erlebe.
Der Aulos (aus altgriechisch „Röhre“) ist ein zu den Blasinstrumenten zählendes Rohrblattinstrument der Antike. Der Spieler dieses Instruments heißt Aulet …
Goethes Entwurf einer Tonlehre
Wegweiser: Vielleicht vertiefen wir auch Goethes Ansatz noch ein wenig.
Sonnleitner: Goethes Anregungen zur Erneuerung der Musik fi ndet man in den Naturwissenschaft lichen Schrift en. Sie sind, wie Goethe es ausdrückt, nur ein Skelett, das erst mit Fleisch und Blut zu umkleiden wäre. Es ist wirklich nur ein Ansatz und Goethe war auch kein Musiker. Goethe konnte sich ja mit den Musikern seiner Zeit und seines Umfeldes (Zelter, Reichardt, Hiller ) nicht einigen über die Anschauung von Dur und Moll. Das sind die schon erwähnten „Musik – Hanse“. Bis heute ist die übliche Lehrmeinung, dass Dur die Hauptsache sei und Moll eine Abart, ohne besondere eigene wesenhaft e Qualität. Es handelt sich aber um eine Urpolarität. Goethe hat das bekanntlich in seiner Farbenlehre mit Licht und Finsternis so gemacht und eine an Goethe orientierte Musikforschung sollte auch darüber nachsinnen.
Die Tonmonade
Dur entsteht dann wesenhaft erfasst so, dass sich die Tonmonade ausdehnt. Den Begriff der Tonmonade hat Goethe von Schlosser übernommen und der hat ihn natürlich von Leibniz geholt. Dabei muss man sich vorstellen einen innersten Kern von einem Ton, der geistig anschaubar, hörbar ist aber sinnlich nicht klingt. Der Ton braucht eine Umhüllung, damit er sinnlich hörbar wird. Er braucht erst einen Schall – Leib und einen Klang – Leib. Aber es ist das, was ein tauber Beethoven innerlich hört, wenn er komponiert. Da hört er die Tonmonaden, die sich ausdehnen wollen oder einziehen wollen. Wenn von Mozart überliefert ist, dass er als Kind von einem Schweizer Arzt getestet worden ist, dann heißt es da, dass dieser Arzt allein durch das Anschlagen eines Tones bewirkte, dass der Knabe Mozart innerlich aufgeweckt wird zu einem Musikstück. Man könnte fast sagen, das Musikstück entsteht dann über die Wirkung der Tonmonade in Mozarts Seele. Mozart ist seelisch so gestimmt, dass wenn da ein Ton erklingt, es gleich zu einer Fortspinnung kommt und zwar nach dieser Gesetzmäßigkeit: wenn es ein Dur Stück wird dehnt sich die Tonmonade aus. Wenn sich die Tonmonade einzieht, dann wird’s ein Moll Stück. Ruland hat das immer weiter erforscht. Man kann auch sagen: Dur geht in der Richtung nach außen oder oben, Moll nach innen. Und wenn man die Tonmonade quasi durmäßig ausdehnt, dann trifft man auf Töne, die unser herkömmliches Tonsystem gar nicht hat! Das ist auch von Steiner so gesagt. Diese Töne sind wohl in der Obertonreihe da, nicht aber auf unserem Klavier, dass ein temperiertes Instrument ist.
Grenzen des temperiertes Tonsystems
Wegweiser: Ist unser bekanntes temperiertes Tonsystem sozusagen falsch?
Sonnleitner: Man darf mich nun nicht so verstehen, dass ich unsere herrliche klassische Musik ablehnen würde. Ich habe sie Zeit meines Lebens mit Hingabe gespielt. Es geht mehr darum, diese anderen zunächst ausgesparten Töne wieder zu entdecken. Das hat einen Bezug zu der Schwelle über die alle Menschen seit Ablauf des Kali Yuga gehen. Dieses fi nstere Zeitalter – in Bezug auf das Wahrnehmen der geistigen Welt – endete nach Rudolf Steiner 1899. Man soll so etwas nicht leicht nehmen, denn dieser Vorgang hat bis in den Ausbruch des ersten Weltkrieges hinein gewirkt. Und der Schwellenübergang ist bewusst zu gestalten. Eine neu zu fi ndende Musik kann das begleiten und unterstützen. Da sind dann eben auch ungewohnte Klänge dabei. Die Seele muss sich etwas strecken lernen, neue Wege des Hörens gehen. Allein auf gewohnten Harmonien zu schwimmen schläfert unter Umständen ein. Es ist heute innere Arbeit und eine gewisse persönliche Anstrengung gefragt.