Feuer – um uns, in un

Text: Norbert Liszt, Foto: Ilse Liszt

Ein leicht entzündliches Material und ein Prozess werden benötigt, um Feuer zu entfachen. Das kann ein Zündholz, auch Schwefelholz genannt, sein. Ein Holzstäbchen ist an seinem Ende mit einer schwefelhaltigen Substanz beschichtet und wird durch Reibung auf einer rauen Fläche entzündet. Schwefel (lat. Sulphur, Sonnen-Träger, von Sol und ferre=tragen) ist also ein leicht entzündliches Element. Doch nicht nur der sonnentragende Stoff, sondern auch die Sonne selbst kann zum Entzündungsfaktor werden, wenn ihr Licht durch eine Lupe zum Brennpunkt verdichtet wird.

Ist das Feuer entfacht, bilden sich Flammen, die nach oben streben und das Holz verzehren. Die Formen fester und flüssiger Substanzen werden im Feuer flüchtig und mehr oder weniger aufgelöst. Es entsteht „Feuerluft“, die zugleich auch Lichtbringer ist und Räume erhellt. Die Luft ist also das Element, das diesen Prozess erst ermöglicht und zugleich die Wärme in sich aufnimmt. Unter Erwärmung dehnt sich die Luft aus und strebt nach oben. Die Luft gerät in Bewegung. Wo kalte Luft ist, will die Wärme hin, was uns beim Heizen unserer Räume zugutekommt. Die Wärme kann alles andere durchdringen. Stoffe, die dem Feuer ausgesetzt werden, erfahren eine entscheidende Veränderung. Nahrungspflanzen erfahren durch die Einwirkung von Feuer (kochen, dünsten, braten …) einen erweiterten Reifungsprozess und werden so zu genießbarer menschlicher Nahrung. Dasselbe gilt für tierische Produkte.

Das Feuer weicht härteste Strukturen auf und macht sie damit formbar. Metalle wurden durch die Anwendung von Feuer zu den Materialien, die das Handwerk und die technische Entwicklung voranbrachten. Bauwerke, Apparate, Maschinen, Geräte … sind Schöpfungen aus dem Feuer. Sie wurden zu wesentlichen und bestimmenden Faktoren der menschlichen Lebensart. Die Weiterentwicklung dieser Schöpfungen in Elektronik, Computertechnik, Digitalisierung, KI etc. ist fantastisch und zugleich auch unheimlich. Wir können noch nicht wissen, ob sie der menschlichen Weiterentwicklung förderlich oder hinderlich sein werden.

Geistige und seelische Aspekte der Wärme

Wärme lebt auch in uns, nicht nur in physischer, sondern auch in seelisch-geistiger Form. Somit bildet die Wärme eine Brücke zwischen dem äußerlich Materiellen und dem Seelischen. In unserem Blut äußern sich seelische Wärme und Kälte. Angst lässt uns frieren, die Scham treibt das Blut in unser Antlitz und wohlige Wärme empfinden wir, wenn wir Herzlichkeit in Form von Mitgefühl erleben.

Ältere Weisheitslehren und die moderne Geisteswissenschaft im Kleide der Anthroposophie lassen uns wissen, dass alles aus dem Feuer geboren ist. Bereits Heraklit erklärte, dass alle Elemente, sei es Festes, Wässriges und Gasförmiges, verdichtete Wärme sind. Unter diesem Aspekt ist alles schon vom Feuer- oder Wärmeelement durchdrungen, in einem höheren Maße die durch Lebensprozesse gegangenen Brennstoffe.

Wärme kann aber nicht einfach aus dem Nichts entstehen. Es müssen Wesenheiten vorhanden sein, die Wärme schaffen. In hohen geistigen Wesenheiten gründet sich der menschliche Entwicklungsgang. So gesehen ist Wärme als erste Anlage des physischen Leibes die Ursubstanz des Menschen¹.

Wir Menschen können uns von diesen Werdeprozessen nur eine schwache Vorstellung bilden. Moralische Impulse sind Formen seelischer Vorgänge, die nach Gestaltung drängen. Sie sind möglicherweise ein schwacher Abglanz dieser ursprünglichen Prozesse. Moral ist ein Begriff, der in viele Richtungen deutbar ist. Als Antrieb, den wir selbst entzünden, ist sie eine potenzielle Ermöglichungs-Kraft. Diese Kraft wohnt in jedem Menschen in unterschiedlicher Intensität. Wir tragen damit Feuerhaftes als dynamisierendes Element in uns. Man kann für etwas brennen, ist begeistert, empfindet Liebe am Erlebten.

Unser Wille lebt in diesem Element und der benötigt einen Inhalt, an dem er sich entzündet. Wie die Flamme Holz, Kohle … nötig hat, um sich zu entfalten, so muss unser Wille von Ideen genährt werden. Ihr Zusammenwirken impulsiert das menschliche Handeln.

Das kommt sehr gut zum Ausdruck in Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre: „Lessing, der mancherlei Beschränkung unwillig fühlte, lässt eine seiner Personen sagen: Niemand muss müssen. Ein geistreicher frohgesinnter Mann sagte: Wer will, der muss. Ein dritter, freilich ein Gebildeter, fügte hinzu: Wer einsieht, der will auch. Und so glaubte man den ganzen Kreis des Erkennens, Wollens und Müssens abgeschlossen zu haben. Aber im Durchschnitt bestimmt die Erkenntnis des Menschen, von welcher Art sie auch sei, sein Tun und Lassen; deswegen auch nichts schrecklicher ist, als die Unwissenheit handeln zu sehen.“ ²

Müssen zu müssen ohne Grund, ergibt keinen Sinn. Der Wille bliebe ein leeres Vermögen. Ein Beweggrund, ein Motiv, liefert den Stoff, an dem sich der Wille entzündet und zur Handlung hinleitet. Das Motiv bestimmt den moralischen Wert des Handelns. Hier stellen sich die Fragen nach gut und böse, richtig und falsch, selbstbestimmt und fremdbestimmt etc.

Ich möchte hier nur einen dieser Aspekte herausheben. Wir werden heutzutage über diverse Medien mit einer Flut von Mitteilungen konfrontiert, die kaum verdaubar ist. Durch diese Flut bleibt die Frage nach Selbst- oder Fremdbestimmung oft rätselhaft. Ist das Motiv fremdbestimmt, wird es zum Zwang. Doch, wie wir wissen, mangelt es häufig an der richtigen Einsicht. Man meint mitunter, selbstbestimmt zu agieren und wird doch von diversen Einflüsterungen, die man unhinterfragt als Tatsachen anerkennt, zu Handlungen verführt. Der Zwang führt dabei ein verborgenes Dasein und es wird aus uneinsichtigen Motiven gehandelt.

Wir erleben tagtäglich, wie aus Unwissenheit gehandelt, geschrieben, gesprochen wird. Mutmaßungen im Kleid von Überzeugungen werden häufig als absolute Wahrheiten dargestellt. In solchen Überzeugungen in der Gestalt von Halbwahrheiten, führen Denken, Reden und Tun ein bizarres Dasein. Leider werden viele Menschen von diesen Überzeugungsströmen mitgerissen und vergessen, nach dem Wahrheitsgehalt zu fragen. Damit wird das Motiv zum Strohfeuer, das sich leicht entzündet, ohne eine nachhaltige Wirkung zu entfalten. Es kann aber auch wie eine Feuersbrunst vernichtende Wirkungen entfesseln.

Was kann helfen?

Der Seele des Menschen ist die Fähigkeit eigen, die in ihr schlafende Geistigkeit zu wecken. Die geweckte Geistigkeit durchglüht den inneren Sinn, welcher anders geartet ist als unsere physischen Sinne. Mit den physischen Sinnen stellen wir uns der Welt gegenüber. Die Dinge treten als fertige Gegenstände an uns heran. Die erweckte Geistigkeit ist das Selbst, das seinen Sinn auf sich selbst richtet und sich selbst wahrnimmt. Was wir in uns beobachten, in dem leben wir selbst drinnen. Im Gegensatz zur äußeren Sinnesempfindung, ist die Selbstbewusstwerdung ein aktiver Prozess. Das Selbst muss erst erweckt werden, um sich seiner selbst bewusst zu werden.

Die Selbsterkenntnis entzündet in uns ein höheres Licht, das jede andere Erkenntnis neu beleuchtet³. Sie ermöglicht dem Menschen, auch die Außenwelt durch lebendiges Interesse, in ihrer wahren Gestalt zu erkennen. Wir verbinden das Wesen der Dinge mit unserem eigenen Wesen³. Dieser Erkenntniswille, in dem die Wärme des Mitgefühls lebt, bildet die Brücke zwischen Seele und Außenwelt. Er will die Außenwelt zur Mitwelt erheben.

¹ Rudolf Steiner, GA 11, „Aus der Akasha-Chronik“ und „Die Geheimwissenschaft im Umriss“

² J.W. Goethe, „Wilhelm Meisters Wanderjahre“, 2. Buch, 11. Kapitel, Betrachtungen im Sinne der Wanderer – Kunst, Ethisches, Natur

³ Rudolf Steiner, GA 7, „Die Mystik“

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