Text: Wolfgang Schaffer
Nimmt man den Kreislauf der Jahreszeiten eines Erdenjahres als Anhaltspunkt um die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer damit in einen Zusammenhang zu bringen, lässt sich eine ganz bestimmte Zuordnung entwickeln. Erde und Herbst stellen bei dieser Abfolge den Anfang dar. In dieser Jahreszeit kehrt alles, was sich vom Frühling und Sommer an der Sonne entgegen an Blättern und Blüten in die Luft erhoben hat in Form von Früchten und Samen wieder in die Erde zurück. Eine Rückkehr zur Erde betrifft auch das Verhalten der Tiere und die Gedanken und das Tun der Menschen. Nach der großen Weite und Freiheit des Sommers sammelt sich alles wieder zur Arbeit. Als nächste Jahreszeit bringt der Winter Wasser durch die Kälte in einen Zustand der Erstarrung. Das Eis und der Schnee dieser Zeit unterbrechen die Wachstumsvorgänge in der Natur und versetzen das Leben in den Zustand der Ruhe. Wenn dann die wohltuende Wärme aufkommt und der Frühlingswind weht, dann beginnen die gefrorenen Wasser wieder zu tauen. Zum Sommer hin trocknet alles Lebendige aus und wird durch die Hitze und Glut im Feuer der Sonne gleichsam verbrannt. Der Anteil an Erde in den Pflanzen fällt schließlich wie Asche zu Boden. Das Laub und die Früchte kehren im Herbst wieder in den Kreislauf des Lebens zurück. Die Beschreibung der Elemente im Sinne der gegenwärtigen Naturwissenschaft sieht nur drei Zustände vor, in denen sich die materielle Welt manifestieren kann. Feststoffe, Flüssigkeiten und Gase werden so ihren sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften nach bestimmt. Wärme ist nicht in dieser Weise abgrenzbar. Man zählt daher Wärme und Feuer nicht wie in der Antike und bis ins Mittelalter hinein zu den vier Elementen. Die Wärme durchdringt alle materiellen Erscheinungen gleichermaßen. Feste Stoffe, Flüssigkeiten und Gase nehmen Wärme in sich auf. Sie gehen sogar ineinander über, wenn sie im Feuer immer stärker erhitzt werden. Ein festes Metall zum Beispiel kann zum Schmelzen und Sieden gebracht werden und sich zuletzt als Dampf in die Luft auflösen.
Feuer und Atem
Mit jedem Atemzug, den wir auf Erden tun, halten wir auch ein Feuergeschehen in unserem Körper in Gang. Wir verbinden im Laufe eines Atemzuges die äußere Lufthülle mit dem Blut in unserem Körper. Dabei wird der Sauerstoff aus der Luft an die roten Blutkörperchen gebunden. Der Ort in uns, wo diese Begegnung möglich wird ist die Lunge. Dieses mit Sauerstoff gesättigte Blut bewirkt auf seinem weiteren Weg durch den Körper den Stoffwechsel in den Zellen, die das durch die Luft erfrischte Blut in sich aufnehmen. Hier findet ein unsichtbarer Verbrennungsvorgang statt. Wo bei jedem äußerlich sichtbaren Feuer Wärme, Licht und Asche entstehen, vollzieht sich im Zellgeschehen ein rein biochemischer Prozess. Wenn wir keine Begriffe dafür entwickelt hätten, welche Stoffwechselvorgänge durch die Atmung im Körper geschehen, würden wir davon gar nichts bemerken. All dies vollzieht sich im Unsichtbaren. Wir fühlen zumeist eine Erfrischung, wenn wir Atemluft in uns aufnehmen und die verbrauchte Luft aus dem Körper ausscheiden.
Wird dieses Geschehen nun auf die seelische Ebene übertragen, kann man sagen, der Geist und die Seele sind vergleichbar mit dem Atem und dem Blut, die alle Teile des Körpers mit erfrischenden Nahrungsstoffen versorgen. Die Seele durchdringt alle Teile unserer Biographie mit Bewusstsein und vermittelt uns im Geist die eigene Identität. Dieses Bewusstsein unserer geistigen Existenz kann aber unter gewissen Lebensumständen völlig verschwinden. Es kann sich im Zustand einer Ausatmung verlieren. Wir fühlen uns dann wie ein Automat, wie eine Maschine, die den Alltag ohne innere Beteiligung vollzieht, ohne Freude und Begeisterung am eigenen Tun. Wenn wir nicht immer wieder geistige Ideale für alles, was wir tun, in unsere Existenz «einatmen», erlöscht in uns das Feuer des Lebens. Soweit wir für unser Dasein, unsere Existenz und unsere Arbeit wirklich Sinn erkennen, stehen wir in einem Zusammenhang mit der ganzen Welt. Wir fühlen uns dann auch verbunden mit allen anderen Menschen, die wie wir ihr Schicksal hier auf Erden miteinander erfüllen wollen. Durch diesen Sinn werden alle Teile unserer Identität mit dem Geist in Verbindung gebracht, der unser Dasein begründet und zum Leuchten bringt. In der Anthroposophie gibt es dazu den Leitsatz «Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte.» Diese Zielbeschreibung kann weltgeschichtlich mit den Ereignissen der Verkörperung, des Todes und der Auferstehung des Jesus von Nazareth in Verbindung gebracht werden. Die Jünger, die dies alles direkt miterlebt hatten, sahen sich nach dem Ereignis der Himmelfahrt ganz auf sich gestellt. Sie standen einer bangen Frage gegenüber. «War das jetzt alles, was es zusammen mit dem Jesus Christus zu erleben gab»? Er hatte sie nach seinem Tod als Auferstandener viele Tage hindurch über alles in Kenntnis gesetzt, was Ihnen für ihren weiteren Weg von Nöten war. Zum Abschied hatte er das Versprechen hinterlassen, den Tröster als den heiligen Geist zu senden. Bange Stunden und Tage vergingen nach der zuletzt erlebten Vereinigung des Auferstandenen mit dem Umkreis der Erde durch seine Himmelfahrt. Dann geschah das Wunderbare. Pfingsten vollzog sich! Am fünfzigsten Tag nach dem Ereignis des Mysteriums von Golgatha stürzte sich der verheißene Geist in Form von Feuerflammen vom Himmel herab auf alle, die seine Begleiter gewesen waren. Sie zerteilten sich in Feuerzungen und verbanden sich von oben herab mit den Häuptern der einzelnen Jünger. Diese konnten dadurch den Sinn erkennen für alles, was ihre eigene Existenz und ihr weiteres Wirken betraf. Sie sahen ihr Leben nur mehr im Zusammenhang mit der Verbreitung und der vertiefenden Erläuterung des Auferstehungsgeschehens. Daraus entstand der Strom des Christentums in seiner menschheitlichen Dimension, der sich bis heute in alle Welt ergießt. Anthroposophie ist die zeitgemäße Weiterführung dieser Pfingstbotschaft seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie ist in diesem Sinn das immerwährende Fest der freien, auf sich selbst gestellten menschlichen Individualität, die sich ihrer Verbundenheit mit der geistigen Welt immer wacher bewusst wird. In den mit dem Geist verbundenen Einzelmenschen lebt auch ganz selbstverständlich der aufrichtige Wunsch, sich mit allen anderen geistig freigewordenen Menschen gemeinsam auf die Gestaltung einer menschwürdigen Form des Zusammenlebens zu verständigen.
Feuerprobe
Es gibt auf dem Schulungsweg der Anthroposophie eine Stufe, die man «Feuerprobe» nennt. Ein Mensch, der sie durchlebt, sieht die Welt mit neuen Augen. Die Gegenstände, Pflanzen Tiere und Menschen um ihn herum zeigen sich ihm dann nicht mehr nur in der Art, wie er es bisher gewohnt war. Sie sprechen nun eine eigene Sprache und wirken auf ihn direkt in ihrem geistigen Gehalt. Er sieht sie jetzt nicht mehr nur äußerlich, sondern auch mit seinem «inneren Auge». Er vernimmt durch sie jetzt zugleich das «innere Wort», das ihnen im Zusammenhang mit der geistigen Welt entspricht. Diese inneren Sinne des Menschen müssen sich in einem entsprechenden Entwicklungszustand befinden, um die Feuerprobe zu bestehen. Es handelt sich dabei um einen geistigen Verbrennungsprozess, der den Schleier zerstört, mit dem die sinnlichen Wahrnehmungen gewöhnlich vor dem geistigen Auge bedeckt sind. Ein Mensch, der die Feuerprobe ohne vorher darauf hinweisendes Wissen durchläuft, erlebt dieses Geschehen oft als die schlimmsten Enttäuschungen, denen er im Leben begegnen muss. Sie erscheint ihm als seinen Wünschen und Erwartungen ganzer entgegenstehender Verlauf alles dessen, was er im Leben zu tun versucht. Die Feuerprobe zu bestehen heißt «ganz einfach», sich nicht durch äußere Umstände und Misserfolge in seinem selbstbestimmten Tun entmutigen zu lassen. Es geht darum, auch nach den schwersten Schicksalsschlägen, den Lebensfaden immer wieder aufzugreifen. Seinen Zielen treu zu bleiben, auch wenn der ersehnte Erfolg sehr lange auf sich warten lässt. Wer seine «Feuerprobe» auf dem Lebensweg besteht, geht aus solchen Seelenprüfungen gestärkt und gekräftigt, ermutigt und verjüngt hervor. Er lässt sich nicht durch äußere Umstände in seinem Lebenslauf behindern. Nach erfolgter Feuerprobe sieht man die Dinge, wie sie wirklich sind und was sie für sich selbst gelten. Dieser Blick ermöglicht es ihm jetzt, viel schneller und gezielt seinen Weg zu finden, da er sich in vieler Hinsicht nicht mehr täuschen kann. Nimmt man nun Bezug auf das Feuer, das in der physischen Welt Gegenstände, Erdendinge und Stoffe verbrennt, so erkennt man einen tieferen Zusammenhang. Ein Material, das vom Feuer ergriffen und verzehrt wird, fällt in den Urzustand zurück, aus dem heraus es einst gebildet wurde. Vom Baum zum Beispiel bleibt die Asche übrig. Es ist die mineralische Substanz, die im Verlauf der vielen Jahre von den Wurzeln aus der Erde aufgenommen wurde. Die Gestalt verliert sich durch das Feuer, sie wird wieder aufgelöst in Wärme Licht und in den Stoff, der aus den Elementen einst entnommen wurde.
Durch die bewusste Verbindung seines eigenen Wesens mit dem Geist der Welt geschieht in einzelnen Menschen etwas ganz Tiefgreifendes. Es hat tatsächlich eine starke Ähnlichkeit mit dem, was durch die Verbrennung äußerer Stoffe im Feuer vor sich geht. In einem besonderen Wahrspruchwort weist Rudolf Steiner auf diesen Zusammenhang hin. Es handelt sich um ein Erfasstwerden der Seele von einer Flamme, die alles, was uns an Trägheit und Selbstbezogenheit belastet ganz durchdringt. Diese Anteile unseres Bewusstseins werden einer Verbrennung ausgesetzt. Die bisher vergebliche Suche und Sehnsucht des Ich nach dem Geist in sich selbst wird durch die Kraft des heilenden, Heiligen Geistes einer Verwandlung unterzogen. Aus der dadurch entstandenen Wärme entzündet sich das befreiende Gefühl von Mitleid mit sich selbst und aller der liebevollen Zuwendung bedürftigen Schöpfung. Ein Neubeginn ganz aus dem Geist geschieht. Diese Lebensquelle beginnt nun alles in uns neu zu speisen. Wir erleben uns durch sie in selbstbewusster Selbstlosigkeit ganz im Geist einer immerwährenden Wiedergeburt. Durch dieses Erleben kommen wir auch wieder in den ursprünglichen Zusammenhang mit dem ganzen Weltenall, aus dem wir als Säugling am Anfang unseres Erdenlebens rein körperlich herausgeboren wurden.
«Sieghafter Geist,
durchflamme die Ohnmacht
zaghafter Seelen.
Verbrenne die Ichsucht.
Entzünde das Mitleid,
dass Selbstlosigkeit
der Lebensstrom der Menschheit
wallt als Quelle
der geistigen Wiedergeburt»