Text: Reinhard Apel, Wien
Im September stand Österreich ganz im Banne starker Überschwemmungen und bedenklicher Pegelstände. Die Einsatzkräfte arbeiteten unter Hochdruck, und die Medien waren voller Bilder von Hubschraubern, die Sandpakete zustellten oder Eingeschlossene retteten. Per se gelten Hochwässer als Naturereignisse, nicht leicht prognostizierbar und schwer zu beherrschen. Allenfalls wird noch ein Zusammenhang mit dem Klimawandel angenommen. Dieser ist aber seinerseits eine Art höhere Gewalt und damit kaum beeinflussbar.
Betrachtet man um den 15. September herum das Bild bei der Wiener Urania, wo Wienfluss und Donaukanal aufeinandertreffen, so war trotz umfangreicher Schutzdämme und ausladender Wasserbetten, die Situation knapp am Kippen. Ein wenig mehr Regen, und Wien hätte eine schlimme Überflutung im Stadtzentrum hinnehmen müssen. Im Folgenden sei angeführt, was an Hochwasservorbeugung möglich ist, in Bereichen, die wir damit wenig im Zusammenhang sehen.
ZU VIELE WASSERBAULICHE MAßNAHMEN
Wasserbauliche Maßnahmen sind heute fast bis zur Perfektion getrieben. Jedes Örtchen hat seine Bachregulierung erhalten und jeglicher Wildwuchs einer kleineren Überflutung ist unterbunden. Gerade dadurch kann sich bei Hochwasser die Flut nicht in mäßigen Ausweichbewegungen unterwegs sich abschwächen. Sie trifft mit hohem Tempo, und durch die Verbauungen im Ganzen verstärkt, im größeren Gewässer ein. In diesem vereinigen sich alle Hochwasserspitzen nahezu zeitgleich. Zuletzt trifft die Flut auf einen Punkt, wo dann selbst der beste Schutzdamm der Wassermassen nicht mehr Herr wird. So sind all die bestens gesicherten Supermarktparkplätze der Zuflüsse (beispielsweise in Kaltenleutgeben oder Mödling) ironischerweise ein Grund für die große Malaise weiter flussabwärts. In der unten verlinkten Sendung mit der Maus zum Thema „Hochwasser“ wird dieser Zusammenhang zwar kindgerecht, aber dafür sehr gut anschaulich dargestellt. „Wenn Autos durchs Wasser fahren, dann haben wir Überschwemmung“ heißt es dort eingangs. Bingo! Dieser Satz wurde dem Autor eine Quelle immer wiederkehrender Erheiterung. Später wird aber ein sehr gut gemachtes Modell einer Hochwassersituation vorgestellt, das zeigt, was es bedeutet, dass alle Mäander im Falle des Rheins abgeschnitten wurden. Denn ohne Flussbegradigung sorgten schon alleine die Mäander dafür, dass die Hochwasserspitzen der Zuflüsse schön zeitversetzt im Rhein ankämen und die Flutlage bliebe weniger dramatisch. Auch unterwegs mal eine Au oder ein paar stehende Arme sind eine gute Sache.
BODENVERSIEGELUNG
Dieses Thema ist schon deutlich mehr im Bewusstsein als die Zweischneidigkeit wasserbaulicher Maßnahmen. Dennoch erscheint die Natur unserem Gefühl immer noch als wild und übermächtig. Dagegen ist ein sauber asphaltierter Radweg eine Augenweide. Oder auch ein schön gemachtes Trottoir. Oder eine kitzekleine neue Straße. Denn wer will schon in Hinterbrühl die drei bescheidenen Einkaufsgeschäfte von 1967 wiederhaben, zu denen mich meine Mutter seinerzeit noch zu Fuß und über den damals nicht asphaltierten Roseggersteig schickte, dort, wo sich zuweilen die Schusterkäfer ein Stelldichein gaben? Heute gibt es zwei tolle Supermärkte mit geräumigem aber bodenversiegeltem Parkplatz. „Der Buagamasta hat was gemacht!“ Momentan sehe ich, wie in der Wiedner Hauptstraße im 4. Wiener Gemeindebezirk die Gleise der Straßenbahn erneuert und die mondäne neue Radweg ist aber eben „asphaltiert“. Die Straßenbahngleise sind baulich umrahmt Parkplätze für Autos mit allerlei Tricks verringert werden (Bereich Johann Strauß Gasse). Der von einem Art Metallgitter durch dessen Zwischenräume man Kies ahnt. Später wird drüber asphaltiert oder betoniert. Dabei kann man über dieses Gitter durchaus gehen oder auch fahren, die Auslassungen sind klein genug. Könnte das nicht einfach so bleiben? Die Autos sollen dort sowieso nicht hin und zum Ausweichen im Notfall reicht es durchaus. Bei der Bodenversiegelung macht sich der menschliche Gestaltungsdrang bemerklich, der nicht lassen möchte, was schon ist. Dabei fehlt uns leider nur ein Verständnis der Natur. Ein Verständnis dafür also, wie ihre Eigentendenzen in die Gestaltung einzubeziehen wären. Bei Starkregen nimmt dann versiegelter Boden keine Feuchtigkeit auf. Alles geht in den Kanal. Was die Hochwassersituation verschlimmern kann. Zuweilen ist Beton oder Asphalt der willige Verstärker für den überbordenden Bach nebenan. Es versickert ja nichts. Dies ist die Überleitung zum letzten Punkt, dem vielleicht erstaunlichsten dieser Liste.
DIE WASSERRÜCKHALTEFÄHIGKEIT DES BODENS
Der Erdboden nimmt dort, wo er frei liegt, Feuchtigkeit in sich auf. Allein, er tut das in ganz unterschiedlichem Ausmaß. Handelt es sich bei einem Acker um echten Humusboden, dann wirkt dieser wie ein regelrechter Schwamm und saugt sich mit Wasser voll. Erst spät tritt die Wassermenge, die dann doch zu viel ist, an der Oberfläche zutage und arbeitet bei Starkregen der Überflutung zu. Man meint zunächst, bei wirklichem Dauerregen mache das nur einen marginalen Unterschied aus, und es ginge allein um die Bodenentsiegelung. Doch es ist nicht so. Die sogenannte Wasserrückhaltefähigkeit des Bodens ist ein ganz wesentlicher Faktor, der über die Wassermenge, die dann an der Oberfläche ihr Unwesen treibt, mitentscheidet. Denn wenn es in den Bergen stark regnet wird erst einmal der Wald- und Wiesenboden gründlich durchfeuchtet wird. Dann dauert es seine Zeit, bis die Bäche anschwellen. Auch tiefer unten würde ein Ackerboden mit allen Biofunktionen die Wassersituation noch einmal beruhigen. Die volle Schwammwirkung hat ein Boden aber nur, wenn er einen hohen Humusgehalt aufweist. Humus besteht aus einem sehr komplexen Bodenleben, welches dem Boden erst die feinen Tonpartikelchen verleiht, und dafür sorgt, dass er die kleinen und kleinsten Kapillaren aufweist, die dann eine nennenswerte Schwammfunktion ermöglichen. Dadurch ist Humusboden auch widerstandsfähiger gegenüber Trockenperioden, denn er kann noch immer Wasser enthalten, wo hingegen ein konventioneller Ackerboden schon gegossen werden muss. Die gegenwärtige konventionelle Landwirtschaft bildet kaum Humus aus. Sie bringt ja den Dünger extra ein und die nötigen Stoffe kommen der Pflanze nicht aus bodeneigenen Prozessen zu. Diese Art der Landwirtschaft betrachtet den Boden mehr als Depot für Kunstdünger statt als selbständigen lebendigen Organismus. Dieses Thema ist im Wegweiser vom Herbst 2023 ausführlich behandelt in den Beiträgen „Der Bäuerliche Wald“ (Seite 16) sowie „Humus als Helfer gegen Flut und Dürre“ (Seite 18).
Wenn Du liebe Leserin und lieber Leser also gebannt auf eine Überflutung blickst, dann schaue nicht nur auf die Dauerhaftigkeit der Barrieren, die gegen die Wassermassen errichtet werden. Denke auch an dein gutes Biobrot. Denn das kommt aus humusfördernden Landwirtschaft und nicht aus Böden, die wenig eigenes Bodenleben haben. Biobrot ist also ein Beitrag zur Hochwasservermeidung. De facto.