Text: Norbert Liszt, Wien
„Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen.“ ¹
Der Herr in Goethes Faust, Teil I
Mit diesen Worten erklärt der Herr im Prolog von Goethes Faust, warum der Teufel für den Menschen nicht nur Widersacher, sondern auch Helfer ist. Der Teufel in der Gestalt des Mephistopheles, der von sich sagt, er sei ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, stellt Faust laufend vor neue Herausforderungen. Mephistopheles ermöglicht ihm vieles. Er will ihn dazu verführen, sich vom Genuss befriedigen zu lassen, sich selbst zu gefallen und sich auf ein Faulbett zu legen.
„Werd‘ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
so sei es gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
dass ich mir selbst gefallen mag,
kannst du mich mit Genuss betrügen,
das sei für mich der letzte Tag!“ ¹
Die Widerstände treten oft im Kleid vergnüglicher Annehmlichkeiten auf, die Fausts Willen lähmen wollen. Doch er gerät durch sie in Konflikt mit seinen tiefsten Bedürfnissen. Vieles hat er studiert, Philosophie, Jura, Medizin und Theologie. Er wähnt sich zwar gescheiter als alle die Laffen, Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen, doch das Bücherwissen kann ihn nicht mehr befriedigen. Trotz aller Wissensfülle quält ihn die Leere seines Gemüts. Nun will er nicht mehr in Worten kramen, sondern ins volle Leben greifen und erleben lernen, was die Welt im Innersten zusammenhält. In ihm regt sich der Trieb, die Quellen alles Lebens zu ergründen.
„Wo fass‘ ich dich, unendliche Natur?
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
an denen Himmel und Erde hängt,
dahin die welke Brust sich drängt“ ¹
Alles theoretische Wissen ist nichts wert, wenn es sich nicht mit dem quellenden Leben konfrontiert und daraus seine Erkenntnisse schöpft. Freude und Leid, Gutes und Böses, Wahrheit und Lüge, Schönes und Hässliches müssen sich in der Seele begegnen. Das kann nicht durch das Studium von Büchern erfahren werden, es muss im Verkehr mit Mensch und Natur durchlebt werden. Nur unter Menschen fühlt er, kann er wahrhaft Mensch werden.
Viele Widerstände stellen sich diesem Trieb entgegen und locken neue Kräfte aus seinem Wesen hervor. Mephistopheles ist Widerpart und zugleich Geburtshelfer seines Strebens nach Welt- und Selbsterkenntnis und seines Willens mit dieser Erkenntnis, zu ergründen, welchen Dienst am Weltenfortgang das Leben von ihm fordert. Der Genuss kann ihm nicht genügen. Das Glück, das ihm Befriedigung ermöglicht, merkt er, kann nicht von außen auf ihn zukommen. Es muss sich in seinem Inneren begründen.
Doch, Faust muss einsehen, dass es auch innere Widerstände gibt. In den düsteren Winkeln seiner Seele spinnt Mephisto die Fäden seines Netzes. Dort lauern dunkle Triebe, Begierden und Leidenschaften. Heinrich Faust weiß, wenn sie nicht gezügelt werden, gerät sein Inneres in ein Missverhältnis zur Mitwelt. Egoistische persönliche Interessen und Selbstüberschätzung steuern ihn in Handlungen, die im Dienst dieser Interessen stehen. Verzweifelt muss er sich eingestehen, dass sich sein Empfinden zu einem selbstgefälligen Blick auf die Dinge und Geschehnisse, die ihm begegnen, verengt. Aus diesem Erleben entringt sich jedoch der Drang, den mephistophelischen Finten nicht zu erliegen. Die inneren Widerstände und was er durch sie erleidet, rütteln ihn wach. Sie reizen seinen Willen und der von Vernunft geleitete Wille verleiht ihm die Macht seine Seelentriebe zu läutern. Am Widerstand wachsen ihm neue Kräfte, die ihn nicht ruhen lassen, zu ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält und wie er dem Fortgang dieser Welt dienen kann.
¹ Zitate aus Goethes Faust I