Sekem – „Aufgehende Sonne“

Sekem hat Strahlkraft. Nun besteht die Chance, eine geburtshilfliche Abteilung zu entwickeln. Das wäre nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch sozialpolitisch ein wichtiger Schritt.     Roland Frank hat ein Konzept verfasst, hier ein Auszug.

Im Jahr 1977 gründete Dr. Ibrahim Abouleish in der Wüste im Nordosten Ägyptens das Projekt Sekem. Der Name Sekem bedeutet “Aufgehende Sonne”.

Die Initiative war aus der Wahrnehmung der Not der Landbevölkerung geboren. Menschen, vor allem Kinder, die sich im Freien aufhielten, waren plötzlich müde, hatten Krankheitsgefühl, wurden ohnmächtig. Was war geschehen? Sprühflugzeuge glitten über die Baumwollfelder und brachten die damals in der Plantagenwirtschaft üblichen Chemikalien über den Feldern aus.

Der junge Chemiker hatte in Österreich studiert und war mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in seine Heimat zurückgekehrt; er sah die Situation glasklar. Nach dem durch Aufstand bewirkten Ende der britischen Kolonialherrschaft, die aber auch tragfähige Einrichtungen und Einführungen hinterlassen hatte (z.B. Schulsystem für alle), war die seit biblischen Zeiten als Kornkammer des Nahen Ostens bekannte Region in ein Rohbaumwolle lieferndes Land umgestellt worden. Abouleish hatte die Zukunft des Staates und den Stillstand der Infrastrukturen vor Augen, als er sich zur Rückkehr in seine Heimat entschied. Nachdem er bei der Firma Gebro in Fieberbrunn/ Tirol ein pharmazeutisches Patent entwickelt und verkauft hatte, erwarb er mit dem Erlös daraus originäre Wüste am östlichen Rand des Nildeltas nahe der Regionalstadt Bilbeis.

Die erste Revolution: Sekem-Baumwolle, pestizidfrei

Mit einer kleinen Gruppe von Freunden und Helfern aus Ägypten und Europa begann er eine biologische dynamische Farm zu gründen. Sie kreuzten drei lokale Baumwollsorten auf natürlichem Wege und schufen die sogenannte Sekem-Baumwolle, die seither ohne Mineraldünger, Herbiziden oder Pestiziden gedeiht. Das war eine Revolution. Kaum jemand vertraute ihm. Das Militär bewachte die Felder nachts, da man annahm, dass in der Dunkelheit doch die herkömmlichen Präparate eingesetzt würden.

Das Ergebnis war eine hochelastische Baumwollfaser, die deutlich billiger produziert werden konnte, keine Menschen- und Bodenbelastung verursachte und das wenige- auf 120 Meter Tiefe liegende- Grundwasser schonte. Dieses Bioproduklt erzielte einen deutlich besseren Preis am Weltmarkt. Das schuf Sekem nicht nur Freunde. Es gab und gibt bis heute immer wieder große Rückschläge.

Aber Ibrahim Abouleish und sein wachsendes Team diversifizierten. Sie gingen von der Rohbaumwolle immer mehr zu Fertigprodukten über. Die Produkte von Nature Tex ( Lable „Cotton People Organic”) werden vor allem in Ägypten und in der EU verkauft.

Sekem hat heute sieben grosse Teilbereiche: Landwirtschaft , Textilproduktion und Vermarktung, Schule und Kindergarten, Kunst mit Eurythmie, Universität, Pharmazeutischer Betrieb mit Medikamentenproduktion, weiters Dienstleistungsfirma. Weiters gibt es eine medizinische Ambulanz, Tees, Öle, Kräuter sowie Handel, Import, Export, Büro.

Dazu kamen eine Behinderteninitiative für Menschen mit speziellen Bedürfnissen, eine Schulküche und eine Betriebsküche, Lehrwerkstätten für Tischlerei und Schlosserei, ein großes Gästehaus, eine Kornmühle, Bäckerei, Käserei, auch ein Amphietheater.
Kompost – ein neues Wort
Mit der Einführung von 330 Rindern in die biologisch dynamische Landwirtschaft in Sekem begann sich der komplette Naturkreislauf mit Hilfe der gemischten Kompostwirtschaft (pflanzlich-tierisch) im arabischen Raum erstmals breiter zu verankern. Das Wort “Kompost” wurde ein neuer Begriff in der ägyptischen Sprache.

1995 wurde eine medizinische Ambulanz mit Apotheke gegründet. Heute werden dort bis zu 150 Patienten täglich behandelt. Seit der Gründung war ich hier immer wieder vorübergehend tätig.

Es war das Anliegen Ibrahim Abouleishs, im Islam Elemente des Igtihād ar-raʾy (Findung von Normen durch eigenständige Urteilsbemühung) wiederzubeleben. Sekem ist eine muslimische Initiative mit christlichen Elementen, so gesehen eine zeitgemäße Grundidee für das 21. Jahrhundert, nicht ohne Probleme, aber mit Schwung, neben großen nationalen und internationalen, politischen, ökologischen und demoskopischen Herausforderungen.

Mein Impuls für Sekem

Aus den vorher erwähnten schwierigen Bedingungen im Land ist die Gesundheitsversorgung der ägyptischen Bevölkerung, besonders am Land, zum Teil schlecht. Auch das Gesundheitsbewusstsein ist noch nicht breit entwickelt. Das liegt nicht nur an Armut und am Bildungsniveau sondern auch an den Angeboten des Gesundheitswesens. Eine allgemeine Krankenversicherung ist seit einiger Zeit im Aufbau.

Sekem hat seit 1995 auch im Gesundheitswesen einen hochwertigen regionalen Beitrag geleistet, eine Geburtshilfe wäre ein neues vertrauensbildendes Angebot Sekems.

Geboren wird immer und überall. Bevölkerungen explodieren weltweit, wo Armut und fehlende Perspektiven zusammentreffen. Sekem könnte hier eine neue Dimension schaffen. Voraussetzung ist ein nachhaltiges Konzept, das mit Ausbildung und Fortbildung für Hebammen und Ärztinnen/Ärzte beginnt und Grundlage für ein kontinuierliches Angebot schafft.

Erste grundsätzliche Überlegungen

Es bedarf der Schaffung eines breiten systematischen schulischen sowie akademisch orientierten Ausbildungscurriculums für Hebammen in Zusammenarbeit mit lokalen Frauen. Bisher ist die Geburtshilfe weitgehend ein Handwerk, das von Mutter zur Tochter weitergegeben wird. Väter werden in der ägyptischen Kultur in diesem Bereich nicht eingebunden. Im Zuge eines Hebammengesprächs in Sekem vor einigen Jahren bekam ich bei Erwähnung von in Europa anwesenden Vätern im Geburtsraum die Antwort: Oh die armen Frauen!- nicht einmal dabei lassen die Männer ihre Frauen in Ruhe….

Was kommen könnte

  • Schaffung eines InteressentInnenkreises rund um eine kleine Kerngruppe von 4-6 Menschen.
  • Einbeziehung lokaler gynäkologisch/geburtshilflich tätiger Fachärzte/innen, die dafür Verständnis und daran Interesse haben.
  • Aquisition von Interessenten/innen einer breit auszubildenden Frauengruppe durch Werbung, vor allem in sozialen Medien.

Was von europäischer Seite dazu eingebracht werden kann

  • Schaffung eines Lehrerpools
    aus medizinischen und Hebammenberufen. Hier gibt es bereits erste Kontakte zu geburtshilflichen Abteilungen und europäischen Arzt- sowie Hebammenpraxen
  • Stipendien für einzelne Hebammen und Ärzte/innen
  • Anträge an EU, Stiftungen, Vereine, gemeinnützige Banken,
    Kammern usw. sowie Crowd funding
  • Kontakte, z.B. zum Österreichischen Hebammengremium, der Österreichisch-Ägyptischen Ärztegesellschaft
  • Hintergrundanalysen, sozialpolitische Tiefen- und Querschnittsanalysen durch C.E.O., Corporate European Observatory, eine NGO für Öffentlichkeitsarbeit
  • PR und Werbetouren

Welche sozialpolitischen Synergien entstehen können

  • Direkte Verbesserung der Lebenssituation schwangerer Frauen, besonders im Bereich der Ernährungsberatung, Wasserhygiene, Leberschutztherapien (Amöben, Egel, Bilharziose) mit naturnahen Medikamenten aus der Herstellung der pharmazeutischen Sekem Betriebe
  • Verbesserung der gesundheitlichen Bedingungen der ägyptischen Bevölkerung im Nordosten des Landes, besonders der Mütter und ihrer neugeborenen Kinder
  • Schaffung neuer Arbeitsplätze
  • Internationale Kontakte durch verstärkte Lehrtätigkeit europäischer Unterrichtender aus dem Gesundheitswesen, projektbezogen.
    Ähnliche Modelle haben sich für andere Sekem Betriebe sehr bewährt. Hier ist ein Schwerpunkt in der Zusammenarbeit mit deutschsprachigen Fachleuten in die Wege geleitet.
  • Neben der fachkundigen Ausbildung und Fortbildung, die immer auch einen allgemeineren Bildungsaspekt beinhaltet, wird die persönliche Autonomie der Teilnehmenden implizit und explizit gefördert.
  • Ein weiterer Schwerpunkt ist die soziale Gemeinschaftsbildung. Das Ziel ist, primär die menschliche “Fülle” zu entwickeln bevor eine “Hülle” (Bauprojekt vom Grundstein bis zum Kreißzimmer und OP-Saal) geschaffen wird. Ansonsten wäre der “Baum der Sekem Geburtshilfe” hohl, mit starker Borke, und würde in den “Stürmen des Alltags” umstürzen.

Dieses Projekt braucht viele “Mütter und Väter”, die es tragen, sowie einen generationenübergreifenden Ansatz, schon allein aus dem Thema heraus.

Roland Frank ist Facharzt für Geburtshilfe und Frauenheilkunde und im Vorstand von Sekem Österreich. Kontakt: roland.frank.eu@gmail.com

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