Wasser und Seele

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd.

In seinem Gedicht „Gesang der Geister über den Wassern“ weist Goethe darauf hin, dass es eine Verwandtschaft zwischen Wasser und Seele gibt. Beide gehören zwei Welten an, den himmlischen Höhen und den Erdentiefen. Beide bewegen sich wechselnd in beiden Welten und das nicht nur im physischen Sinn. Sowohl Seele als auch Wasser haben ihren Ursprung nicht in der irdischen Welt. Beide keimen in wesenhaft-geistigen Welten, die ihnen Kraft und Gestalt verleihen.

Die Seele stellt die Verbindung zwischen Körper und Geist her und das Wasser verlebendigt die irdischen Dinge dadurch, dass es der Vermittler der Lebenskräfte ist. Unsichtbar für unsere leiblichen Sinne leben diese Kräfte (auch Ätherkräfte genannt) in den Wesenheiten der Erde und ermöglichen Wachstum, Gestaltbildung, Fortpflanzung, Bewegung … Die Seele wiederum nutzt diese Kräfte, um geistige Wirkungen in körperliche Regungen umzusetzen. Dabei spielt der Wasserorganismus eine entscheidende Rolle, denn in ihm können sich die Lebenskräfte ausleben. Umgekehrt werden über die Ätherkräfte körperliche Zustände dem Geist vermittelt. Durch das Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist, in Verbindung mit den Lebenskräften bildet sich das menschliche Bewusstsein, das auch ein Bewusstsein von sich selbst entwickeln kann.

Das Wasser hat besondere Eigenschaften. Es fügt sich in bestehende Formen ein und gibt sich den Kräften der Umgebung hin. Wasser ist vermittelndes Element der Lebensprozesse. Es wird durch die Schwerkraft, Sog und Druck, Temperaturveränderungen, Verdunstung, Erdbewegung etc. in Bewegung gebracht. Wasser nimmt verschiedene Aggregatszustände ein, kann flüssig, gasförmig und fest sein.

Das Besondere am Wasser ist, dass es bei 4° plus die größte Dichte hat und sowohl bei Temperaturerhöhung als auch -erniedrigung seine Dichte verringert. Bei einer Temperatur unter 0° nimmt es als Eis feste Formen an und unterscheidet sich dadurch von allen anderen Elementen. Eine weitere Besonderheit sind die Schneekristalle. Sie sondern alles Unreine aus. Man sagt: Nichts ist reiner als der Schnee. Jede einzelne Schneeflocke ist ein Wunderwerk für sich und zeigt, dass Wasser eine ganz eigene Bildungsneigung hat.

Das zeigt sich nicht nur am Schnee. In Tau, und Tropfen will das Wasser seine Urform ausgestalten und kugelig werden. Auch trägt es die Fähigkeit in sich eigene Strömungsformen zu bilden, wenn es nicht von Leitungen, in bestimmte Bahnen gezwungen wird.

Wasser ist das universellste Lösungsmittel. Es löst Substanzen aus festen Stoffen und setzt sie unter diversen Bedingungen wieder aus sich heraus. Auf diese Weise fungiert es als vermittelndes Element in den Lebensprozessen.

Auch unsere Seele hat Lösungsfunktion. Sie löst Sinneswahrnehmungen in Empfindungselemente auf und führt sie dem verstehenden Geist zu.

Gesang der Geister über den Wassern

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend,
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturze entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

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