Die Zukunft war früher auch besser. (Karl Valentin)
Text und Foto: Norbert Liszt
Was die Zukunft bringen wird, davon können wir im Grunde nichts wissen. Doch in unseren Plänen und Vornehmungen machen wir schon einen Schritt in ihre Richtung. Das Zukünftige wird vielleicht nicht so sein, wie wir es uns vorstellen oder wünschen, aber es wird so sein, wie wir ihm entgegenleben. In unserem Willen schläft die Zukunft und in unseren Taten wird sie Wirklichkeit.
Man kann in Bezug auf die Bildekräfte, der Kraft, die allen lebendigen Prozessen zugrunde liegt, die Zukunft auch als gegenläufigen Zeitstrom betrachten: Das, was einmal sein wird, hat schon im Vergangenen gewirkt. Nach der goetheschen Metamorphosenlehre wirkt in der Wurzel schon die Blüte. Allen lebendigen Wesen wohnt ein Entwicklungswille inne. Ein Geistiges, unseren Sinnen noch Verborgenes, drängt nach Verwirklichung, will in Erscheinung treten.
Im Sinne der obigen Aussage von Karl Valentin beschreibt Stefan Zweig in „Die Welt von Gestern“, dass es vor dem Ersten Weltkrieg möglich war, ohne Pass zu reisen. Nach dem Krieg begann, seiner Meinung nach, die „Weltverstörung durch den Nationalismus“, welche den Fremdenhass und die Fremdenangst mit sich brachte. Ab dieser Zeit braucht man einen Pass, um als Mensch behandelt zu werden. So drückt es der Kosmopolit Stefan Zweig aus, der von der „kommenden Ära des Weltbürgertums“ geträumt hat und von den folgenden Ereignissen schwer erschüttert und enttäuscht wurde.
Wie Karl Valentin blicken heute viele nicht besonders optimistisch nach vorne. Was uns die Zukunft bringen wird, sieht man heute vielerorts in einem düsteren Licht. Manche meinen, die Geschichte sei ein sich ständig wiederholendes Geschehen und es gäbe keinen Fortschritt. Hoffnungsfroher war diesbezüglich Karl Jaspers gestimmt: „Die Zukunft ist als Raum der Möglichkeiten der Raum unserer Freiheit.“¹ Möglicherweise gab es einmal bessere Zeiten, doch die jetzigen sind unsere. Es wird also von uns abhängen, ob wir sie zu besseren machen. Vielleicht liegen in schweren Zeiten ungeahnte Möglichkeiten zum Besseren.
Wie kann sich dieser Raum der Freiheit bilden?
Hilft uns dabei die dokumentierte Geschichte oder müssen wir tiefer blicken, um zu erkennen, welchen Entwicklungsweg die Menschheit gegangen ist und was daraus wird?
Man sagt: Mythen und Märchen erzählen, was niemals war, aber immer wahr ist. Möglicherweise vermitteln sie uns ein tieferes Wissen von geschichtlichen Abläufen und erzählen von deren geistigen Hintergründen, welche die tieferen Ursachen ihres Werdens sind. Die vielwissenden Nornen sitzen unter der Weltesche Yggdrasil und spinnen den Schicksalsfaden für Götter und Menschen. Sie verweben das Gewordene, das Seiende und das Werden-Sollende und sehen die Götterdämmerung kommen. Schließlich reißt der Schicksalsfaden. Ihr ewiges Wissen verdämmert und „… der Welt melden Weise nichts mehr.“ ²
Der mit diesem Schicksalsfaden an die göttlichen Werdeziele gebundene Mensch, empfängt sein Wesen von göttlichen Mächten, die in ihm und durch ihn wirken. Er soll aber nicht Geschöpf und Werkzeug dieser Wesen bleiben, sondern selbst Schöpfer werden. Die Mythen erzählen, wie er von den Göttern auf den Weg der Freiheit geschickt wird und welche Folgen das für die Götter selbst hat. Der Schicksalsfaden muss reißen, damit der Mensch ihn aus freiem Willen neu verknüpfen kann. Damit beginnt die Götterdämmerung, das Unabhängigwerden des Menschen von der ihn beherrschenden göttlichen Natur. In Zukunft soll er über sich selbst herrschen und in der Gottesferne lernen, sich seiner selbst bewusst zu werden und in der Selbstwerdung seinen Zusammenhang mit dem Weltgeschehen auf eigenen Wegen zu finden. Aus Wesen, die ihr Sein von anderen Wesen empfangen, sollen selbst- und weltgestaltende Wesen werden. Nur der freie Wille führt zu Schöpfertum. Ein ewig Zukünftiges liegt in den Menschenseelen, dessen Zugkraft schon im Vergangenen gewirkt hat. Die Spuren dieser Zugkraft in der Geschichte aufzuspüren, könnte uns helfen das Vertrauen in die richtigen Schritte in die Zukunft zu finden.
Schwierigkeiten auf dem Freiheitsweg
Das Eine ist das Freimachen von Bestimmungen, die von außen und innen auf uns einwirken. Das Andere ist, sich frei für Aufgaben zu entscheiden, die das Leben an uns stellt und wo wir meinen, der Richtige zu sein, diese Aufgaben zu meistern. Für beides gilt, dass das Selbstvertrauen und der ehrliche Wille zur Selbsterkenntnis entscheidend sein werden, um einzuschätzen, wie weit wir auf dem Freiheitsweg schon gekommen sind. Innere Feinde lauern uns auf. Egoismus, Eitelkeit, vorgefasste Meinung, Bequemlichkeit, Leichtsinn, Wankelmut, Lügengebäude … liegen im Hinterhalt. Auch von außen strömen Trugbilder der Freiheit auf uns ein, die sich dem achtsamen Blick als maskierte Zwänge entpuppen.
Es gibt Wissenschaftsgebiete, deren Protagonisten sich rühmen, dem menschlichen Fortschritt zu dienen. Forschungseinrichtungen arbeiten daran, das Problem des Todes zu lösen. Die Superbiologie wird zu einer neuen Religion. Sie sieht den Menschen nur mehr als funktionierende biologische Einrichtung und der Tod wird als störender Faktor empfunden. Geistes- und Seelenwissenschaften werden zu untergeordneten Wissensgebieten, da man Geist und Seele als aus körperlichen Funktionen hervorgebrachte Phänomene ansieht.
An ein Weiterleben nach dem Tod will man nicht mehr glauben, was dazu führt, dass man angestrengt danach forscht, wie unser Leben hier auf Erden erhalten bleiben kann. Diese Denkfabriken meinen in Zukunft Bedingungen für das größtmögliche Glück eines großen Teils der Menschheit herstellen zu können, indem sie versuchen das Problem Krankheit, Alter und Tod aus der Welt zu schaffen.³ Diese Form der Beglückungsstrategie kann zu einer erheblichen Gefahr für unsere Menschenwürde werden, da sie uns zu biologischen Automaten degradiert.
Dass jeder nur selbst seines Glückes Schmied sein kann, betont Heinrich von Kleist in seinem Aufsatz über den sicheren Weg des Glücks. ⁴
„Ich nenne nämlich Glück nur die vollen und überschwänglichen Genüsse, die – um es mit einem Zuge Ihnen darzustellen – in dem erfreulichen Anschaun der moralischen Schönheit unseres eigenen Wesens liegen. Diese Genüsse, die Zufriedenheit unsrer selbst, das Bewusstsein guter Handlungen, das Gefühl unserer durch alle Augenblicke unsers Lebens vielleicht gegen tausend Anfechtungen und Verführungen standhaft behaupteten Würde, sind fähig, unter allen äußern Umständen des Lebens, selbst unter den scheinbar traurigsten, ein sicheres tiefgefühltes und unzerstörbares Glück zu gründen.“
In Kleists Worten ist das Glück Resultat der Entfaltung und Behauptung unserer Würde. Keine äußere Macht kann uns dieses Glück bescheren, wenn nicht unser innerstes Wesen die Bedingungen dafür in Gang setzt. Nur das Vertrauen in die Wirkkraft und Anmut unseres geistigen Wesenskerns ermöglicht dieses von Kleist dargestellte beglückende Erleben. Dieses Vertrauen kann erschüttert werden, doch ohne es droht uns, dass unsere Schritte in die Zukunft auf Pfade geführt werden, die nicht unsere sind. Wir müssen sehr achtgeben, dass wir nicht durch die künstliche Intelligenz, dieser ähnlich gemacht werden. Wie diese gut manipulierbar ist, könnten auch wir es werden – wenn wir es nicht schon sind.
Da man via Handy eh alles im Netz findet, muss man das eigene Denken nicht bemühen und es erlahmt. Im Wissenswirrwarr der Informationen und Botschaften irren viele im virtuellen Raum umher. Zweifelhafte Orientierungshilfen lenken sie in Welten, die fern der eigenen Realität liegen. Auf diese Weise werden Gefühle erzeugt, die mit der Lebenswirklichkeit wenig zu tun haben. Die so manipulierten Gefühle führen zu Verunsicherung und verführen zu Handlungen, die dem eigenen Wesen entglitten sind, und die damit einhergehende Fremdsteuerung mündet in eine mechanisierte Lebensart.
Wer weiß, was daraus wird und worauf darf man vertrauen?
Die Corona-Krise macht deutlich, wie schwer es sein kann, zu erkennen was Realität und was nur Vermutung ist. Die Wissenschaft muss zugeben, dass sie noch immer sehr wenig über das Virus, seine Wirkung, Gefährlichkeit und Heilbarkeit weiß. Die Regierungen tun sich schwer, richtige und sozialverträgliche Maßnahmen zu setzen. Es bildet sich ein Wissens- und Meinungsdschungel, in welchen es vor Mutmaßungen wimmelt und die Wahrheit ein verborgenes Dasein führt.
Darf man der gesundheitsfördernden, krankheitsfeindlichen, jedem Menschen innewohnenden Kraft, die von seinem Wesenskern ausgeht nicht mehr vertrauen? Gerade diese Kraft ist die eigentlich wirksame. Alle von außen zugeführten Mittel, seien es Impfstoffe oder Medikamente, sind immer nur Unterstützer der eigenen Wirk- und Resistenzsysteme. Die Forschung sollte sich vermehrt den inneren Systemen zuwenden und welche Strategien diese anwenden, mit Viren umzugehen. Nur wenn diese Systeme wirksam sind, können die von außen zugeführten Mittel helfen. Es kann ja sein, dass es nicht nur um Vernichtung geht, sondern auch um Integration und Nutzbarmachung, der in den Körper eindringenden Viren. Dazu ein Zitat:
„Die hohe genetische Plastizität, Adaptivität und Mutabilität der Viren wurde über unzählige Entwicklungsschritte in den hochkomplexen, intrazellulären RNA-Elementen der genetischen »Textbearbeitung« aller Lebewesen internalisiert und konserviert, die als epigenetisches Regulativ zwischen Umwelt und Organismus vermitteln und damit die Voraussetzung für Weiterentwicklung und Artenvielfalt sind. Viren haben eine Doppelnatur, indem sie genetische Impulsgeber und Krankheitserreger gleichzeitig sind. Ihre Pathogenität erweist sich vor diesem Hintergrund lediglich als Sonderfall im Sinne einer Stress- und Störanfälligkeit jeder innovativen, lebendigen Entwicklung.“ ⁵
Wenn man den Menschen nicht als biologische Maschine betrachtet, sondern als Bildhauer seiner selbst, so kann er zwar zum Niederen, Animalischen, Krankhaften verführt werden, doch seiner Natur liegt das Potential zugrunde, sich zum Höheren, zu sittlicher Schönheit, wie Kleist das ausdrückt, aufzuschwingen und das ist ganz bestimmt ein gesundheitsförderndes Element.
Vielleicht sind die Viren ein Kunstgriff der Natur, der uns reizt, die eingefahrenen Pfade zu verlassen, und uns auf zukunftsfähige locken will, dass wir auf Freiheits- und Liebespfaden, das Weltwerden in uns erleben lernen und uns für es verantwortlich fühlen.
Die Mythologien weisen auf diese Wege hin. In der Darstellung der Götterdämmerung kommt eine Zukunftsperspektive zum Ausdruck: Der Mensch, der dazu berufen ist, seinen Schöpferwillen zu entwickeln, musste die geistige Welt für gewisse Zeit vergessen (Siegfried trinkt den Vergessenstrank) und sich ganz mit der physischen Welt verbinden und sie auch lieben lernen. Damit handelt er sich seelische und körperliche Verwundbarkeit ein. Doch nur in Bewusstseinsfreiheit und durch die leidvolle Konfrontation mit Widerständen kann sich in der Seele des Menschen eine gereinigte, in sich selbst bestehende Geistigkeit⁶ entwickeln. In eindrucksvollen Imaginationen wird diese Entwicklung durch die verhängnisvollen Ereignisse der Götterdämmerung dargestellt, deren Ursache mit der menschlichen Entwicklung zusammenhängt. Es kommt zum Kampf gegen die Widersachermächte: die Midgardschlange (Selbstsucht erzeugend), den Fenriswolf (steht für Unwahrhaftigkeit) und Hel (bewirkt Krankheit und Tod), und der Ort, auf dem sich die Götter bekriegen, ist die menschliche Seele.
Aber auch dieser schreckliche Kampf hat sein Ende. Eine Seherin verkündet die hoffnungsvolle Prophetie: Aus den zerstörerischen Ereignissen gehen eine neue Sonne und eine neue Erde hervor, und der Mensch wird mit dem Baldur-Blick begabt sein. Er sieht die Götter neu erstehen und kann sich, anders als vorher – mit einem bewusstseinsklaren, unvoreingenommenen Sinn – in die göttlich-geistige Welt einleben, womit sich auch sein irdisches Dasein in einem neuen Licht zeigt.
¹ Karl Jaspers, Denkwege
² Richard Wagner, Götterdämmerung
³ Dazu interessant: Artikel von Dietmar Klug in der Zeitschrift Der Standard, vom 5. Sept. 2020, „Für immer alt“
⁴ Heinrich von Kleist, Aufsatz den sicheren Weg des Glücks zu finden
⁵ Thomas Hardtmuth, Die Rolle der Viren in Evolution und Medizin – Versuch einer systemischen Perspektive, Zusammenfassung
⁶ Rudolf Steiner, Anthroposophische Leitsätze, GA 26, Die menschliche Seelenverfassung vor dem Anbruch des Michael-Zeitalters